11. CURAC-Jahrestagung, 15.-16. November 2012, Düsseldorf Modulares Robotersystem mit flexiblen Instrumenten für die minimaltraumatische Chirurgie J. Mintenbeck1,2, J. Raczkowsky1, H. Wörn1, R. Estaña2 1 Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Prozessrechentechnik, Automation und Robotik, Karlsruhe, Germany 2 Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft, Karlsruhe, Germany Kontakt: mintenbeck@ira.uka.de Abstract: In diesem Beitrag wird ein Konzept für ein minimaltraumatisches Robotersystem für den laparoskopischen Einsatz vor- gestellt. Es ist im Gegensatz zu den heute in der chirurgischen Routine verwendeten Systemen mit flexiblen Instrumen- ten ausgestattet. Des Weiteren soll das Zusammenspiel von Chirurgen auf der einen Seite und Robotertechnik auf der anderen Seite durch den Einsatz von haptischer Sensorik und entsprechenden Eingabegeräten noch enger verbunden werden. Die aus einer modularen Architektur bestehende Plattform soll dabei als Grundlage für ein zukünftiges Trai- nings- und Simulationssystem als auch für den realen Einsatz im Operationssaal (OP) dienen. Im Folgenden werden nun die einzelnen Komponenten, die flexiblen Instrumente und die eingesetzte Simulationsumgebung beschrieben. Schlüsselworte: Minimalinvasive Chirurgie, Robotersystem, Laparoskopie, flexible Instrumente 1 Problem Die minimalinvasive Chirurgie ist heutzutage eine der etablierten Verfahren, wenn es sich um Operationen im Abdomi- nalbereich handelt. Neben den Vorteilen der Belastungsreduktion für den Patienten und ein kürzerer Krankenhausauf- enthalt durch den geringeren Blutverlust und kleinen Inzisionen bestehen auch Nachteile für den Chirurgen. Zum einen existiert ein nur schwer einsehbares Arbeitsfeld und zum anderen entsteht durch die starren Instrumente in Kombination mit dem Fulcrum-Effekt eine erschwerte Manipulation bei komplexeren Eingriffen. Flexible Manipulationssysteme exis- tieren aktuell nur als Konzepte oder Forschungsprototypen [1, 2, 3, 4]. Ebenfalls versucht das ARAKNES-Projekt [5] ein neues innovatives Robotiksystem zu entwickeln. Durch den Einsatz von Roboterassistenzsystemen, wie das DaVinci- System [6] von der Fa. Intuitive Surgical konnte in der Vergangenheit ein Großteil der Präzision und intuitiven Bedie- nung der Instrumente zurückgewonnen werden. Allerdings ist auch bei diesem im Markt führend eingesetzten System anzumerken, dass in der präoperativen Phase erhebliche Zeiten zum Aufbau und Kalibrierung des Systems erforderlich sind. Dies liegt an dem komplexen und voluminösen Aufbau in Zusammenhang mit einer optimalen Positionierung über dem Patienten zusammen. Ferner ist die fehlende haptische Rückmeldung, welche bei Menschen einen der wichtigsten Reize darstellt, ein wesentlicher Kritikpunkt. Bei der weiteren Betrachtung derartiger Systeme ist anzumerken, dass spe- ziell bei komplexen Manipulationsaufgaben der Einsatz der existierenden starren Instrumente eine weitere nicht zu un- terschätzende Einschränkung darstellt. Diese Anforderungen und Fragestellungen sollen nun durch das nachfolgend beschriebene modulare Roboterassistenz- system aufgegriffen und umgesetzt werden. Dabei liegt der Schwerpunkt darin, eine chirurgische Plattform zu entwi- ckeln, welche sowohl für die minimaltraumatische Chirurgie, zur Ausbildung und zum Training junger Ärzte, als auch für Forschungseinrichtungen in einem wirtschaftlich verträglichen Rahmen beschafft werden kann. 2 Modulares Robotersystem Das zu entwickelnde Robotersystem selbst besteht aus einem Teleoperations-Setup, welches aus einer Eingabekonsole und dem eigentlichen Robotersystem besteht. Zum Einsatz kommen auf Eingabeseite zwei haptische Konsolen der Fa. ForceDimension, welche die Übertragung der auf die Instrumente einwirkenden Kräfte und Momente zurückliefern. Der grundlegende Aufbau der Plattform ist in Abbildung 1 dargestellt und besteht aus vier Bausteinen, die das modulare System ergeben. Das erste Modul ist ein Leichtbauroboter (1) der Fa. Kuka (LBR), welcher die Positionierung des chi- rurgischen Equipments außerhalb des Patienten übernimmt und direkt am Operationstisch befestigt ist. Als Endeffektor ist ein Instrumentenaufnahmesystem (2) angebracht, das wiederum drei individuell bestückbare flexible Instrumente aufnehmen kann. Die integrierte Aktuatorik erlaubt dabei eine Rotation der Instrumente (3) bezüglich des LBR um 147 11. CURAC-Jahrestagung, 15.-16. November 2012, Düsseldorf ±270°. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, die Instrumente translatorisch zu bewegen, was das Einführen bzw. Heraus- ziehen aus dem Patienten ermöglicht, ohne den LBR selbst zu verfahren. Der vierte Bestandteil ist schließlich das ei- gentliche Werkzeug. 1 2 3 Abbildung 1: Gesamtes Robotersystem in der Übersicht Hinsichtlich der Interaktion zwischen Mensch und Roboter muss zwischen zwei Betriebsarten unterschieden werden. Einerseits die Positionierung der Instrumentenaufnahme durch den LBR und andererseits die eigentliche Manipulation der Instrumente. Im ersten Fall wird lediglich ein Eingabegerät für den LBR benötigt. Alternativ kann das klinische Per- sonal den LBR auch manuell (im Hands-On Modus) über dem Patienten platzieren. Sobald dies abgeschlossen ist erfolgt die beidhändige Manipulation, wobei jeweils zwei der drei Instrumente gleichzeitig manipuliert werden können. Mittels der beiden Eingabegeräte werden jedoch nur die Werkzeuge in Ihrer Lage und Orientierung gesteuert. Der flexible Schaft soll dabei automatisch eine geeignete Konfiguration einnehmen. 2.1 Flexible Instrumente Eine besondere Bedeutung kommt den flexiblen Instrumenten zu, welche einen minimaltraumatischen Eingriff über- haupt ermöglichen. Hierbei ist im Unterschied zu den bisher erhältlichen Laparoskopen nicht die Spitze des Instrumen- tes beweglich, sondern der gesamte Schaft. Ferner ist das eigentliche Werkzeug (Schere, Präparator, Greifer) modular an dem flexiblen Schaft arretierbar, wie in Abbildung 2 zu sehen. Die damit verbundene Schwierigkeit liegt nun jedoch da- rin, der aktuierten Struktur eine ausreichende Steifigkeit zu verleihen, um die im Eingriff auftretenden Kräfte und Mo- menten aufnehmen zu können. Ausgehend von kommerziell erhältlichen laparoskopischen Instrumenten wurden ein Durchmesser von 10 mm und eine Länge von max. 300 mm gewählt. Ebenfalls sind maximale Schneid- und Greifkräfte von 10 N als Zielvorgabe zu realisieren. ¹ Abbildung 2: Analogie der Instrumentenbestandteile zwischen klassischem Instrument links und Robotersystem rechts Der flexible Teil des Instrumentes besteht aus einzelnen, unabhängig voneinander angetriebenen Segmenten. Diese las- sen sich über das integrierte Antriebssystem in zwei Richtungen gegeneinander verdrehen, woraus sich ein mehrfach ge- krümmter Zugangspfad ergibt. Zusätzlich soll ein auf optischen Fasern basierender Formsensor [7] Informationen dar- über liefern, welche Lage und Orientierung das Instrument eingenommen hat. Die Kraftmessung innerhalb des flexiblen Schaftes erfolgt über 6D-Kraft-Momenten Sensoren die zwischen den einzelnen Segmenten und in der Verbindungsstelle zum Werkzeug eingebracht sind. Umschlossen sind die einzelnen Segmente schließlich noch mit einer flexiblen Hülle, die einerseits eine Schutzfunktion darstellt, andererseits auch als taktiler Sensor fungiert und den Kontakt mit umgeben- den Strukturen detektiert. Am Ende der flexiblen Struktur ist schließlich das eingesetzte Werkzeugt über eine Kupplung 148 11. CURAC-Jahrestagung, 15.-16. November 2012, Düsseldorf fixiert. Sämtliche Sensordaten von dem Schaft und Werkzeug werden anschließend fusioniert und für das haptische Ein- gabegerät entsprechend aufbereitet. 2.1.1 Unterschiedliche Demonstratoren Auf Grund der sehr geringen Baugröße der einzelnen Segmente werden drei Funktionsprototypen mit unterschiedlichen Antriebssystemen parallel aufgebaut. Diese gliedern sich in ein Seilzugsystem, ein elektrisches angetriebenes System und ein fluidisches System, welche in Tabelle 1 visualisiert sind. Seilzugsystem Elektrisches System Fluidisches System Tabelle 1: Übersicht der unterschiedlichen Demonstratoren Das seilbetriebene System ist aus einzelnen festen und elastischen Komponenten aufgebaut, die über acht Seilzüge ver- formt werden können. Zusätzlich besitzt es einen 3 mm großen Arbeitskanal, welcher in der aktuellen Version die Form- bzw. Lagesensorik aufnimmt. Das gesamte System ermöglicht zwei unabhängige räumliche Krümmungen und dient pri- mär der Evaluation der eingesetzten Sensorik. Bei den beiden anderen Systemen liegt der Fokus auf der Realisierung einer sehr flexiblen aber zugleich steifen Struktur, welche auch die in der Chirurgie üblichen Arbeitskräfte aufnehmen können. Zum einen existiert eine Variante, bei der jedes Segment zwei Elektromotoren besitzt, wobei jeweils ein Bewe- gungsfreiheitsgrad erzielt werden kann. Die zweite Variante besteht aus drei hydraulischen Hubeinrichtungen, welche als Parallelkinematik ausgeführt sind und ebenfalls eine Verdrehung der beweglichen Einheit gewährleisten. Als Medium ist hierfür Wasser oder eine Kochsalzlösung vorgesehen. Zusätzlich gilt es, die zugehörige Ansteuerung in Form von Pie- zoventilen mit in den gesamten Segmentaufbau zu integrieren. 2.1.2 Werkzeuge Die für jeden Eingriff erforderlichen Werkzeuge sind als eigen- ständige Komponenten ausgeführt und sind unabhängig von der Antriebsmotor flexiblen Struktur nutzbar. Über eine elektromechanische Kupp- lung wird das Werkzeug schließlich mit Energie und Informati- onen versorgt. Der Greifer, welcher in Abbildung 3 dargestellt ist, besitzt als Antriebssystem einen Elektromotor zum Öffnen und Schließen der Greifbacken. Hierbei ist der Motor - vor dem Hintergrund der Sterilisationfähigkeit - von den mit Gewebe und/oder Flüssigkeiten in Kontakt tretenden Teilen gekapselt. Kupplung Des Weiteren ermöglicht der Aufbau einen Einsatz beliebiger Backengeometrien, wodurch auch die Realisierung einer Schere Greifbacken mit oder eines Präperators ohne weitere Anpassungen erfolgen kann. Kraftsensorik Ferner besitzt das Werkzeug zur Detektion eines Gegenstandes eine Tastsensorik in den Greiferbacken (vgl. [8]). Abbildung 3: Greiferwerkzeug 149 11. CURAC-Jahrestagung, 15.-16. November 2012, Düsseldorf 2.2 Simulationsframework Neben der eigentlichen Hardware existiert zusätzlich eine Simulationsumgebung auf Basis von MATLAB/Simulink [9], welche es ermöglichen soll folgende Aufgaben zu absolvieren: • Simulation der Instrumenten-Kinematiken zur Dimensionierung der mechanischen Strukturen • Durchführung von Arbeitsraumanalysen der drei Instrumentenvarianten • Pfadplanung für die flexiblen Instrumente unter Einbeziehung von anatomischen Strukturen • Steuerung und Überwachung der an den LBR angekoppelten mechatronischen Systeme • Verarbeitung der Informationen von und zu den haptischen Eingabegeräten Des Weiteren steht eine direkte Schnittstelle zu OpenRAVE [10] zur Verfügung, welche es ermöglicht unabhängig von der realen Hardware die gesamte Roboterplattform zu visualisieren. Ferner soll diese virtuelle Umgebung die Grundlage des späteren Trainings-Simulators darstellen. Hierbei kann das Robotersystem in beliebige Operationsumgebungen ein- gebettet werden und dadurch lassen sich die einzelnen Trainingseinheiten über die Eingabegeräte sehr realitätsnah durchführen. 3 Ergebnisse Das zuvor beschriebene System befindet sich aktuell im Laboraufbau. Dabei erfolgt für das seilzugbetriebene und das elektrische System ein maßstäblicher Aufbau mit einem Durchmesser von 10 mm. Mit diesen beiden Systemen sollte es möglich sein, Krümmungsradien von 45 mm zu erzielen, was dem Umschließen der Leber im Bereich der Gallenblase entspricht. Die dafür notwendigen Segmente sind ca. 10 mm (elektrisches System: 20 mm) lang und ermöglichen eine Verdrehung/Rotation von 10° (20°) pro Bewegungsachse. Das fluidische System wird vorerst in einem Maßstab 3:1 auf- gebaut, da es aktuell keine mikromechanischen Bauteile gibt, welche den gestellten Anforderungen entsprechen. Dieses Modell ist erforderlich, um erste Erfahrungen mit hydraulischen Systemen im medizinischen Umfeld zu sammeln und zusammen mit der Simulation Rückschlüsse darüber zu gewinnen, welche Parameter bei einem maßstäblichen Aufbau zu erwarten sind. Hinsichtlich der Instrumentenaufnahme ist es möglich die einzelnen Instrumente mit einer Genauigkeit von 0,1 mm innerhalb der 100 mm Verfahrweg translatorisch zu positionieren. Parallel sollen erste Versuche erfolgen, in denen der Leichtbauroboter gemeinsam mit der Instrumentenaufnahme über das haptische Interface angesteuert wird. Softwareseitig existieren bereits vereinfachte Modelle der Pfadplanung für die mit über 38 Freiheitsgraden ausgestatte- ten Instrumente. Im Bereich der Visualisierung der Roboterplattform steht der LBR inklusive der Instrumentenaufnahme und drei elektrisch betrieben Instrumenten zur Verfügung. Die einzelnen Komponenten lassen sich dabei auch über ex- terne Eingabegeräte grundlegend manipulieren. 4 Diskussion Der Einsatz eines minimaltraumatischen Roboterassistenzsystems mit den Vorzügen des haptischen Feedbacks, gepaart mit einer bisher nichtvorhandenen Flexibilität der Instrumente ermöglicht es, dem Chirurgen neue Manipulationsmög- lichkeiten an die Hand zu geben. Dabei liegen die Vorteile dieses System in einer sehr platzsparenden Bauform, welche den Einsatz von z.B. zusätzlichen Tracking-Systemen im Operationsfeld ermöglicht. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass die Miniaturisierung aktiver Instrumente aus technologischer Sicht noch viele offene Fragen parat hält. Insgesamt betrachtet ist anzustreben, dass sich diese Plattform auf Grund ihrer Architektur der verwendeten Soft- und Hardware- komponenten als ideale Basis zur Erforschung der technischen Nutzbarkeit im chirurgischen Umfeld entwickelt. Dieses Projekt wird durch das Ministerium für Wirtschaft, Forschung und Kunst Baden Württemberg im Rahmen des Förderprogrammes „Innovative Projekte“ gefördert. 150 11. CURAC-Jahrestagung, 15.-16. November 2012, Düsseldorf 5 Referenzen [1] N. Simaan, K. Xu, A. Kapoor, W. Wie, P. Kazanzides, P. Flint, R. Taylor, Design and Integration of a Telerobotic System for Minimally Invasive Surgery of the Throat, 1134-1153, The International journal of robotics research 2009 [2] M. Zoppi, R. Molfino, P. Cerveri, Modular micro robotic instruments for transluminal endoscopic robotic sur- gery: New perspectives, 440-445, MESA, 2010 [3] M. De Volder, A.J.M. Moers, D. Reynaerts, Fabrication and control of miniature McKibben actuators, 111-116 , Sensors and Actuators A, 2011 [4] H. Yamashita, G. Kitazumi, K. Kim, K. Masamune, T. Chiba, T. Dohi, Minimal invasive novel devices for ad- vanced intrauterine fetal surgery, 65-70, MHS 2010 [5] ARAKNES-Ptroject: http://www.araknes.org/home.html [6] Webpage: DaVinci – System, http://www.intuitivesurgical.com/ [7] C. Ledermann, J. Hergenhan, O. Weede, H. Woern, Combining shape sensor and haptic sensors for highly flexible single port system using Fiber Bragg sensor technology, 196-201, MESA, 2012 [8] Webpage: Tekscan, http://www.tekscan.com/tactile-feedback-robotic-surgery [9] Webpage: MATLAB/Simulink, http://www.mathworks.com [10] R. Diankov, J. Kuffner, OpenRAVE: A Planning Architecture for Autonomous Robotics, tech. report CMU-RI-TR- 08-34, Robotics Institute, Carnegie Mellon University, 2008 151