=Paper= {{Paper |id=Vol-1475/paper37 |storemode=property |title=Der chirurgische Workflow bei Hirntumoren - statistisch aufwendig und klinisch relevant? |pdfUrl=https://ceur-ws.org/Vol-1475/Proceedings_CURAC_2010_Paper_37.pdf |volume=Vol-1475 |dblpUrl=https://dblp.org/rec/conf/curac/LindnerBNM10 }} ==Der chirurgische Workflow bei Hirntumoren - statistisch aufwendig und klinisch relevant?== https://ceur-ws.org/Vol-1475/Proceedings_CURAC_2010_Paper_37.pdf
    Der chirurgische Workflow bei Hirntumoren – statistisch aufwendig
                                          und klinisch relevant?

             Dr. Dirk Lindner1, Sebastian Blecha1, Dr. Thomas Neumuth2, Prof. Jürgen Meixensberger 1,2
                                      1
                                      Klinik für Neurochirurgie, Universität Leipzig;
                            2
                                ICCAS Innovation Center Computer Assisted Surgery Leipzig


                     contact person: dirk.lindner@medizin.uni-leipzig.de


Abstract :

Neurochirurgische Operationen sind vielfach technisch komplex und aufwändig. Der Neurochirurg kann möglicherwei-
se die Vielzahl an Informationen nicht optimal ausnutzen, Frustration und suboptimale Nutzung der Assistenzsysteme
sind die Folge. Anhand der Resektion von Hirntumoren wurde die Aussagekraft von Workflowanalysen klinisch geprüft.
Ein Editor wurde programmiert und 60 Patienten intraoperativ mit Hirntumoren begleitet. In allen Fällen war die Auf-
nahme stabil. Interessant war beispielsweise der geringe zeitliche Aufwand zum Einrichten der Navigation, die Nutzung
des Ultraschalls, die genaue zeitliche Beschreibung der OP Folge wie auch die Aktivität des Assistenten in weniger als
der Hälfte der OP. Weitere Workflowstudien sollten das Zusammenspiel der Assistenzsysteme und mögliche technische
Konflikte genauer untersuchen.

Schlüsselworte: chirurgischer Workflow, Hirntumoren, intraoperativ


1    Problem
Der Ablauf einer erfolgreichen Operation wird durch den personellen und technischen Einfluss vieler Faktoren geprägt.
Ziel sind optimierte Operationsverläufe für den Patienten und den Behandler. Standards müssen hinterfragt, neue Me-
thoden geprüft und Fehler suffizient abgestellt werden. In der Neurochirurgie sind technische Assistenzsysteme wie das
Mikroskop, die Neuronavigation, das intraoperative Monitoring und die Bildgebung nicht mehr wegzudenken. Aber
muss im OP Saal für jeder Operation alles vorgehalten werden, ist jeder Aufwand gerechtfertigt? Diese Fragen sind
subjektiv nicht zu beantworten, die Datenlage ist dünn. Mit der Workflowanalytik sind statistische Analysen in detail-
liertester Form möglich. Nach sehr positiven Erfahrungen mit der Analyse von spinalen Eingriffen war das Ziel dieser
Studie, einen Workfloweditor für die Beschreibung einer Hirntumor-Operation zu erstellen und klinisch zu prüfen. Die
Ergebnisse werden hier vorgestellt.

2    Methoden

In Anlehnung an die Workflowanalyse bei spinalen Prozessen wurden zunächst 10 Patienten intraoperativ durch Mitar-
beiter von ICCAS (Innovationszentrum für Computer assistierte Chirurgie Leipzig) begleitet und im Anschluss mit den
Neurochirurgen besprochen. Darauf basierend wurde ein Workfloweditor erstellt und die nötigen Instrumente und As-
sistenzsysteme gemeinsam mit den OP-Schwestern eingefügt. Die Software ermöglicht es, alle Tätigkeiten der zu re-
gistrierenden Personen parallel und dabei getrennt nach den einzelnen Extremitäten zu erfassen (siehe Bild 1). Für die



                                             Proceedings curac2010@MEDICA                                        191
Datenerfassung wurde ein Laptop Sony Vaio mit einem Intel Pentium III Prozessor mit 1,73 GHz und 512 MByte RAM
Arbeitsspeicher eingesetzt. Ein Medizinstudent wurde jeweils mit dem Laptop vertraut gemacht. Jeder Student nahm 3
Operationen zum Erlernen der Funktionen des Editors ohne Auswertung auf. Insgesamt 3 Medizinstudenten im letzten
Ausbildungsjahr begleiteten die Studie, so dass 9 Operationen nicht ausgewertet wurden. In die Auswertung gingen
zwischen 2007 und 2008 insgesamt 60 Patienten ein. Die Aufnahme begann mit dem Hereinfahren des Patienten und
Anästhesisten in den OP-Saal und endete mit dem Herausfahren des Patienten.


Die OP wurde in 5 Phasen unterteilt:

1.        Anästhesiologische Vorbereitung im OP-Saal
2.        Neurochirurgische Vorbereitung
3.        Kraniotomie (nochmals in drei Unterphasen unterteilt)
4.        Tumorpräparation und –Entfernung
5.        Blutstillung und Wundverschluss einschließlich Knochendeckelfixierung, Auslagerung

Folgende Parameter worden besonders bei der Workflowanalyse untersucht:

      -   Operationserfolg (im Bezug auf die in- bzw. komplette Tumorresektion)
      -   Technische Unterstützung der Operation (mit oder ohne Neuronavigation)
      -   Referenzierungszeit der Neuronavigation (präoperativ)
      -   Operateur
      -   Operationsdauer (Schnitt-Naht-Zeit)
      -   Gesamteinsatzzeit und Anwendung des Ultraschalls, CUSA
      -   Gesamteinsatzzeit und Positionsänderungshäufigkeit des Operationsmikroskops
      -   Tumorresektionszeit
      -   Dauer der einzelnen Phasen und die Gesamtzeit der Blutstillung bis zum Abschluss der Hautnaht
      -   Dauer der Assistententätigkeit




Bild 1: Einteilung nach der Händigkeit und der Person intraoperativ



192                                          Proceedings curac2010@MEDICA
3 Ergebnisse
Die Workflowaufnahme erfolgte in allen 60 Operationen suffizient, die Kontrolle einzelner Abfolgen entsprach exakt
dem normalen OP Protokoll. Bei 26 Patienten (43%) wurde eine Neuronavigation eingesetzt, der Zeitaufwand zur Re-
gistrierung und Anzeichnung des optimalen Zugangs lag bei lediglich 10 Minuten. Die mittlere OP Zeit aller Operatio-
nen lag bei 3h 8 Minuten. Histologisch wurden 22 Gliome, 10 Metastasen, 15 Meningeome aber auch Lymphome, ein
Glomustumor und Akustikusneurinome operiert.


Exemplarisch einige klinische Ergebnisse:
    1.   Die Zeit vom Schnellschnitt bis zur Information des Pathologen via Telefon lag bei 48 Minuten.
    2.   Ein OP-Assistent war nur während 48,6% der Operationszeit wirklich aktiv.
    3.   Die durchschnittliche Zeit für die Tumorentfernung nach Auffinden des Tumors lag bei 1h 3min.
    4.   Blutstillung und Wundverschluss beanspruchten durchschnittlich 1h 2min.
    5.   Die Position des OP-Mikroskops wurde durchschnittlich 25 Mal während der Operation gewechselt, die Ein-
         satzzeit lag bei 1h 35 min (mittel).
    6.   Der Einsatz des 2D-Ultraschall (B-Mode) betrug nur 5 Minuten. Bei 7 von den 22 Patienten mit einem Gliom
         wurde auf Grund des Ultraschalls die Resektion des Tumors fortgesetzt.



4 Diskussion
Der Workfloweditor ist ein hoch interessantes Instrument für die Analyse verschiedener Schritte während einer Opera-
tion. Die gemeinsame Entwicklung durch Informatiker, Neurochirurgen, Medizintechniker und OP-Schwestern in Leip-
zig hat zu einem suffizienten Tool für die Aufnahme und Wiedergabe aller Details einer Hirntumoroperation geführt.
Alle Prozeduren können nach einzelnen OP Abschnitten, Operateuren und Instrumenten getrennt betrachtet und analy-
siert werden. Die zentrale Rolle des Mikroskops hat sich bestätigt, der Aufwand für Navigation und intraoperativen Ult-
raschall sind gering. Die kalkulierbaren Zeiten für die Kraniotomie, die Tumorentfernung und den Wundverschluss
fließen bereits in die Kommunikation zwischen Neurochirurg und Anästhesisten ein. Die Rolle einer Kamera zur
Workflowaufnahme und die Synchronisation verschiedener Datenquellen sind die Herausforderung der zukünftigen
Workflowanalysen. Das Zusammenspiel einzelner Instrumente (CUSA, Mikroskop, Navigation, Bipolator) wird weiter
untersucht, die physikalischen Parameter des Ultraschalls und anderer intraoperativer Bildgebung sollen automatisch
ausgelesen werden. Durch den Einsatz aller Beteiligten ist der Workfloweditor endgültig in der Klinik angekommen.




                                                Proceedings curac2010@MEDICA                                      193