Ein Framework zur Daten- und Kontextintegration für den modularen integrierten OP Stefan Bohn¹, Dirk Lindner², Christian Petzold¹, Oliver Burgert¹ ¹ Innovation Center Computer Assisted Surgery (ICCAS), Universität Leipzig, Germany ² Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinik Leipzig, Germany Kontakt: stefan.bohn@medizin.uni-leipzig.de Zusammenfassung: Für die OP-Planung stehen dem Chirurgen heute verschiedene Informationssysteme zur Verfügung. Diese Anwendun- gen sind i.d.R. heterogen, so dass für die OP relevante Daten losgelöst in verschiedenen Systemen (KIS, RIS, PACS) mit jeweils eigenen Logins und Benutzerschnittstellen lagern. Die Übertragung der Planungsdaten in den OP ist heute nach wie vor von starken Medienbrüchen gekennzeichnet. In dieser Arbeit wird ein Framework vorgestellt, welches he- terogene Softwareapplikationen und klinische Informationssysteme für die OP-Planung in einen einheitlichen Rahmen integriert und den Benutzer durch Single-Login und Automatisierung häufig wiederkehrender Aktionen unterstützt. Die OP-Planungsdaten werden in einer digitalen Planungsakte zusammengefasst, welche dem Chirurgen nahtlos elektro- nisch am integrierten OP-System zur Verfügung steht. Schlüsselworte: OP-Planung, Kontextintegration, Digitaler OP 1 Problem Der chirurgische Behandlungsprozess, bestehend aus OP-Planung, Eingriff und OP-Dokumentation, ist heute informa- tionstechnologisch noch nicht einheitlich und durchgängig elektronisch gestaltet. Es existiert eine Vielzahl weit entwi- ckelter Diagnose- und Planungswerkzeuge, klinischer IT-Systeme sowie verschiedene Systeme der computerassistierten Chirurgie (CAS). Diese in der Regel heterogenen Systeme erzeugen und verarbeiten große Mengen an Informationen für den chirurgischen Behandlungsprozess. Demgegenüber steht eine mangelnde IT-Infrastruktur, welche diese Systeme in geeigneter Weise integriert. Charakteristisch ist insbesondere, dass die vielfältigen Daten in verschiedenen IT- Systemen (KIS, RIS, PACS) voneinander losgelöst mit jeweils eigenen Logins, Benutzerschnittstellen und Bedienphi- losophien lagern. Diese Systeme bilden den tatsächlich benötigten Arbeitsablauf für die OP-Planung insgesamt betrach- tet nur sehr unzureichend ab. Die Übertragung der Planungsdaten in den OP und von dort zur Dokumentation erfolgt i.d.R. mit Wechseldatenträgern, Ausdrucken auf Papier und klassischen Röntgenfilm-Folien. Diese Medienbrüche füh- ren neben dem logistischen Aspekt zu einer gesteigerten Fehleranfälligkeit für die Verwechslung von Patientendaten oder Inkonsistenzen in klinischen Informationssystemen, wenn bereits elektronisch vorliegende Daten immer wieder erneut von Hand in CAS-Systeme eingegeben werden müssen. Das Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung eines Frameworks, welches den Datenfluss ausgehend von der OP-Planung, über den Eingriff bis hin zur Dokumentation durchgängig elektronisch gestaltet. So soll mit Beginn der OP-Planung ein einheitlicher elektronischer Benutzer- und Patientenkontext realisiert werden, welcher alle relevanten Planungs- und IT- Systeme unter einem Single-Login-Mechanismus integriert und über alle Phasen der OP konsistent erhält. Die generier- ten Planungsdaten sollen nahtlos elektronisch in den OP an die jeweiligen CAS-Systeme übertragen werden und dem Kliniker dort im integrierten System zur Verfügung stehen. 2 Methoden In der Regel besteht zwischen den klinischen Informationssystemen (KIS, RIS, PACS) bereits eine Datenintegration basierend auf HL7 und DICOM. Jedoch präsentieren sich diese Systeme dem Benutzer aufgrund ihrer heterogenen Na- tur und Erscheinung der Benutzerschnittstelle als voneinander losgelöst. Verfahren der integrierten Desktop-Sessions wurden bereits durch die Clinical Context Object Workgroup in HL7 definiert [1], so dass ein nur einmaliges Einloggen (Single-Sign-On) sowie die Synchronisation des gewählten Patienten zwischen den xIS-Applikationen (Single-Patient- Look-Up) realisiert wird. Bis heute ist HL7 CCOW bereits in einigen KIS/PACS Lösungen integriert, jedoch nicht um- fassend im klinischen Alltag etabliert. Es exstieren keine frei erhältlichen Toolkits zur Entwicklung CCOW-kompatibler Applikationen, was Implementierungen aufgrund des umfangreichen Standards komplex und zeitaufwändig macht [2]. Im vorgestellten Framework wurden die grundlegenden Prinzipien von HL7 CCOW (Single-Sign-On und Single- Proceedings curac2010@MEDICA 21 Patient-Lockup) aufgegriffen, auf die bestehenden klinischen Fragestellungen und den Ansatz eines integrierten OP Systems angepasst und mit zusätzlichen Funktionalitäten ausgestattet. OP-Datenbank Das Framework realisiert einen elektronischen Datenaustausch zwischen Systemen der OP-Planung und der intropera- tiven Anwendung im integrierten OP. Dafür wurde eine Datenbankumgebung geschaffen, welche die auszutauschenden Informationen konsistent speichert und für alle integrierten Applikationen zugänglich macht. Es wurden mehrere An- forderungen an das Datenbankmanagementsystem (DBMS) definiert und fünf Open Source Produkte für die Auswahl evaluiert: PostgreSQL, MySQL, MaxDB, Ingres und Firebird. Durch die Evaluation wurde PostgreSQL als für die Pro- totypimplementierung am besten geeignetes DBMS ausgewählt. Nach einer Analyse der zu erwartenden Daten wurde ein entsprechendes Datenbankschema erstellt. Die Datenbank speichert keine Daten, welche bereits in anderen Infor- mationssystemen bestehen sondern nur Verknüpfungen darauf, sowie Daten welche gegenwärtig noch nicht durch an- dere Systeme zur Verfügung gestellt werden, z.B. Checklisten, Planungsnotizen, Screenshots, Benutzerprofile etc. Planungswerkzeug: MetaPlan Für die integrierte OP-Planung wurde die Applikation ‚MetaPlan’ entwickelt, welche als übergeordneter grafischer und kontextueller Rahmen für den Pla- nungsprozess dient. Der klinische Be- nutzer meldet sich mit einem Login in MetaPlan an, woraufhin dessen persön- liches Benutzerprofil aus der OP- Datenbank geladen wird. Dieses Profil enthält (PGP verschlüsselt) die Zu- gangsdaten des Benutzers zu allen Pla- nungsapplikationen und klinischen In- formationssystemen, dessen Rolle, so- wie Fachdisziplin-spezifische Listen der verwendeten Planungssoftwares und - systeme. MetaPlan arbeitet als Sidebar am Bild- schirmrand und ruft nach dem Login - entsprechend dem Nutzer und der Art des Eingriffs - die benötigten Planungs- Applikationen auf, loggt den Benutzer automatisch ein und ordnet die Fenster übersichtlich auf dem Bildschirm an (Abb. 1). Immer wiederkehrende Ar- beitsabläufe und Funktionen (z.B. 1. OP-Plan aufrufen, 2. Patient in klini- schem Informationssystem suchen und aufrufen, 3. selben Patient im PACS su- chen und aufrufen, etc.), welche oft erst durch tief geschachtelte Menüs in den Abbildung 1: MetaPlan (Sidebar links) bildet den Kontext für die OP- jeweiligen Applikationen erreicht wer- Planung und automatisiert unterstützend den Zugriff auf Planungsanwen- den können, werden durch das Frame- dungen und -systeme (rechts). Es ermöglicht die Zusammenstellung einer work flexibel modelliert, zentral in der digitalen Planungsakte mit relevanten Daten (links unten), Screenshots etc. OP-Datenbank gespeichert und in Meta- Plan angezeigt. Der Benutzer kann beliebig einzelne Teilaufgaben des Workflows auswählen, welche dann durch Me- taPlan vollautomatisiert innerhalb der Planungs- und Informationssysteme ausgeführt werden (z.B. „Im KIS gewählten Patienten im PACS aufrufen“). Die Automatisierung von Programmabläufen und der Zugriff auf Daten in den fremden Planungsapplikationen werden mit AutoIt [3], einem Script-System zur Applikationsautomatisierung, realisiert. Ein in dieser Arbeit entwickelter Skript- und Profileditor realisiert die zentrale Administrierung aller Skripte, Planungssoft- wares und Benutzerprofile in der OP-Datenbank. 22 Proceedings curac2010@MEDICA Es können jegliche Windows-basierte Planungssoftwares und xIS-Applikationen verwendet werden. Die eigentlichen Funktionalitäten der Applikationen werden dabei nicht verändert, sondern durch MetaPlan unter einen einheitlichen Rahmen gesetzt und der Benutzer durch die Automatisierung von Eingaben entsprechend des Planungsworkflows un- terstützt. Darüber hinaus realisiert MetaPlan einige zusätzliche Funktionen. So können jederzeit Screenshots der einge- bundenen Planungsapplikationen erstellt und optional mit Annotationen versehen werden. Weiterhin können Notizen, Zeichnungen, Nachrichten an die OP-Vorbereitung und Checklisten erstellt werden. Diese Planungsdaten und der elekt- ronische Patientenkontext bilden eine digitale OP-Planungsakte welche abschließend in der OP-Datenbank gespeichert wird. OP-Integrationsarchitektur Am ICCAS Leipzig wurde ein auf Chirurg Technischer Administrator Legende: Kern‐ offenen Standards basierendes OP- Benutzer‐Schnittstelle Benutzer‐Schnittstelle Komponente Modul Nutzer Integrations-framework entwickelt (Abb. 2), welches ein System verteil- Network Component Controller Workflow Managmt. Patienten COM Server Modell ter Module (Hardware- und Software) System KIS/RIS/LIS in einer Service-orientierten Architek- Session System Zeit & Kontext Management tur realisiert [4]. Die Kommunikation Monitoring Synchron‐ und Zugriffs‐ Logging OP und Diagnose isierung zwischen den Modulen im Netzwerk Kontrolle Daten‐ Daten‐ bank bank basiert auf Standard-Protokollen für Session Management, Datenaus- OP Netzwerk Infrastruktur TIMMS Network Infrastructure tausch, Fernsteuerung, Zeitsynchroni- TIMMS Network Infrastructure sierung sowie Systemüberwachung. DICOM TiCoLi RTP TiCoLi OpenIGT TiCoLi OpenIGT TiCoLi Sensoren Protokoll TiCoLi Die Kernkomponenten der Integrati- Interface Interface Link Interface Link Interface Modalitäten X Interface onsarchitektur bilden das Rückrat des CAS Hardware Modul 1 Modul 2 Modul 3 Modul 4 Modul n & Software integrierten Systems und umfassen das zentrale Kontroll- und Überwa- Patient chungsmodul (Network Component Abbildung 2: OP-Integrationsarchitektur des ICCAS Leipzig. Controller), Logging, die OP- Datenbank, Schnittstellen zu klinischen Informationssystemen sowie die Benutzerschnittstellen zum Kliniker und dem technischen Administrator. MetaPlan bildet ein Modul in der Integrationsarchitektur, welches über die Netzwerkinfra- struktur mit der OP-Datenbank kommuniziert. Die zentrale Steuereinheit im OP realisiert die Benutzerschnittstelle zum Chirurgen, bezieht die in der Planungsphase mit MetaPlan generierten digitalen OP-Planungsakten aus der OP-Datenbank und bereitet diese für die Darstellung auf. Daten welche intraoperativ erfasst oder generiert werden (z.B. Screenshots vom integrierten Videorouting- und Doku- mentationssytem), werden automatisch mit dem aktuellen Patientenkontext verknüpft und in der OP-Datenbank gespei- chert. Am Ende der OP erhält der Chirurg eine Übersicht aller erfassten Daten und kann diese für die OP Dokumentati- on und die Archivierung im PACS auswählen. 3 Ergebnisse Das vorgestellte Framework realisiert eine Daten- und Kontextintegration zwischen OP-Planung und intraoperativer Anwendung im integrierten System. Dem klinischen Nutzer steht mit MetaPlan ein Werkzeug zur Verfügung, welches bestehende Planungsanwendungen und klinischen Informationssysteme unter einem einheitlichen Rahmen vereint. Der Zugang zu den bestehenden Appli- kationen wird mittels Single-Login vereinfacht und der Nutzer im Planungsworkflow unterstützt, indem MetaPlan bei Bedarf häufig wiederkehrende Benutzerinteraktionen vollautomatisiert ausführt. Zusätzlich können verschiedene Daten (z.B. Screenshots, Notizen, Mitteilungen an OP-Vorbereitung, Checklisten) in die digitale OP-Planungsakte eingefügt werden, welche vorher auf Papier oder Wechseldatenträgern in den OP transportiert wurden. Für den klinischen Anwender entsteht der Vorteil, dass sämtliche Daten, welche in der digitalen OP-Planungsakte zu- sammengefasst wurden unmittelbar und vollständig am chirurgischen Arbeitsplatz im integrierten OP-System zur Ver- fügung stehen (Abb. 3). Proceedings curac2010@MEDICA 23 Abbildung 3: Präsentation der Planungsdaten an der zentralen Steuerkonsole im integrierten OP-System. Links: An- zeige aller geplanten Patienten am Tag, Mitte: Nachrichten des Chirurgen an die OP-Vorbereitung, Rechts: Zugriff auf alle Daten aus MetaPlan (Screenshots, Notizen, ..) sowie die Kontrollfunktionen des Videorouting-Systems. Das vorgestellte Framework wurde in die modulare OP- Systemarchitektur des ICCAS eingearbeitet und ein Prototyp in einem Demostrator OP realisiert (Abb. 4). Das Gesamtsystem realisiert so die Integration medizinischer Hard- und Softwarekomponenten auf den Ebenen Datenintegration, Funktionsintegration, Kontextintegration sowie Applikations- und Display-Integration. Die vorgestellte OP-Integrationsarchitektur ist unabhängig von einer speziellen chirurgischen Disziplin und kann auf- grund des modularen Designs mit geringem Aufwand an spezielle klinische Anforderungen angepasst werden. Dies umfasst auch die verwendeten Planungsapplikationen und Abbildung 4: Prototyp des integrierten OP-Systems im klinischen Informationssysteme in MetaPlan sowie die Pla- Demonstrator-OP. nungsworkflows für die entsprechenden klinischen Fragestellungen. 4 Diskussion Das vorgestellte Framework demonstriert in einer Prototypimplementierung erfolgreich einen durchgängig einheitli- chen elektronischen Datenfluss - ausgehend von der OP-Planung hin zum Einsatz im integrierten OP-System. Alle rele- vanten Daten der OP-Planung können in einer digitalen Planungsakte verknüpft werden, welche unmittelbar im OP zur Verfügung steht. Gleichermaßen bewahrt das integrierte System den bereits in der Planung erstellten elektronischen Pa- tientenkontext, welcher während der OP generierte Daten (z.B. Screenshots) automatisch mit den Patientendaten (ID, Name, Geb., ...) verknüpft, so dass diese konsistent in die Dokumentation und Archivierung eingehen. Die bestehenden Planungsapplikationen und klinische Informationssysteme werden in ihrer Funktion und Benutzer- schnittstelle nicht verändert, sondern der Zugriff darauf und deren Ausgaben unter MetaPlan vereinheitlicht und verein- facht. Durch den flexibel definierbaren Planungsworkflow werden die vormals heterogenen Einzelapplikationen funk- tionell in ein einheitliches Anwendungsschema integriert und der Zugriff auf häufig verwendete Funktionen deutlich beschleunigt. Das Framework kann aufgrund der flexiblen Struktur mit zentral administrierbaren Profilen, Planungsworkflows und Automatisierungs-Skripten leicht für verschiedene klinische Anwendungsszenarien angepasst werden. 5 Referenzen [1] http://www.hl7.org/implement/standards/ccow.cfm, Version vom 02.03.2010 [2] BERGER R, BABA J (2007): “The realities of implementation of Clinical Context Object Workgroup (CCOW) standards for integration of vendor disparate clinical software in a large medical center”. International Journal of Medical Informat- ics. Volume 78, Number 6, p. 386-390. June 2009. [3] http://www.autoitscript.com, Version vom 29.01.2010 [4] BOHN S, MICHAEL G, FRANKE S, VORUGANTI A, BURGERT O (2009): “An integrated OR system based on open standards”. The MIDAS Journal - Systems and Architectures for Computer Assisted Interventions; 12th International Con- ference on Medical Image Computing and Computer Assisted Intervention (MICCAI), London 2009. 24 Proceedings curac2010@MEDICA