=Paper= {{Paper |id=Vol-1476/paper24 |storemode=property |title=Zum Problem der Erfassung und Bewertung biomechanischer Eigenschaften von Operationsmodellen (anatomischen Faksimilemodellen) bei Cochlear-Implant-Operationen |pdfUrl=https://ceur-ws.org/Vol-1476/Proceedings_CURAC_2011_Paper_24.pdf |volume=Vol-1476 |dblpUrl=https://dblp.org/rec/conf/curac/HahneSDKDKHV11 }} ==Zum Problem der Erfassung und Bewertung biomechanischer Eigenschaften von Operationsmodellen (anatomischen Faksimilemodellen) bei Cochlear-Implant-Operationen== https://ceur-ws.org/Vol-1476/Proceedings_CURAC_2011_Paper_24.pdf
                                                                      10. CURAC-Jahrestagung, 15. - 16. September 2011, Magdeburg




 Zum Problem der Erfassung und Bewertung biomechanischer Eigen-
 schaften von Operationsmodellen (anatomischen Faksimilemodellen)
                 bei Cochlear-Implant-Operationen

        C. Hahne1, M. Scheffler2, G. Dietze2, B. Karpuschewski3, J. Döring 3,, M. Kappa4, H. Hessel5 und U. Vorwerk 1


    1
     Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg,
                                                          Germany
    2
      Institut für Werkstoff- und Fügetechnik, Fakultät für Maschinenbau, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg,
                                                          Germany
3
  Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung, Fakultät für Maschinenbau, Otto-von-Guericke-Universität Mag-
                                                     deburg, Germany
4
   LS Füge- und Schweißtechnik, Fakultät Maschinenbau, Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen, Brandenburgi-
                                      sche Technische Universität Cottbus, Germany
                               5
                                Cochlear Deutschland GmbH & Co. KG, Hannover, Germany


                                           Kontakt: cornelia.hahne@med.ovgu.de

Abstract:
In der Ausbildung zum Facharzt für die Hals-Nasen-Ohrenheilkunde ist die Mikrochirurgie des Ohres ein fester Be-
standteil. Da nicht ausreichend menschliche Felsenbeine für Präparierübungen zu Verfügung stehen, entwickelte unsere
Arbeitsgruppe mittels Rapid-Prototyping-Verfahren Anatomische Faksimilemodelle (AFM) des menschlichen Ohrkno-
chens. Die aus UV-sensitiven Harzen gefertigten Felsenbeinmodelle weisen ähnliche Hohlraumstrukturen wie die des
Innenohrs auf (Cochlea, Bogengänge) und gestatten dadurch unter anderem das Erlernen von Cochlear-Implant-
Operationen. Die Harze können durch variable Aushärtungsverfahren dem humanen Knochen in seinen biomechani-
schen Eigenschaften annähernd nachempfunden werden. So ermöglichen ähnliche Bohr- und Fräseigenschaften dem
Operateur das Entwickeln von Fertigkeiten im Umgang mit mikrochirurgischem Instrumentarium. Gleichzeitig fördert
die Originalität der AFM das Studium der anatomischen Struktur und der Orientierung an anatomischen Landmarken.

Schlüsselworte:
Anatomische Faksimilemodelle
Biomechanische Eigenschaften
Felsenbeinmodell
Cochlear-Implant-Operation
Rapid-Prototyping


1          Problem
In den letzten 20 Jahren haben sich Cochlear-Implant-Operationen zur Behandlung der cochleären Taubheit weltweit
durchgesetzt. In Deutschland beläuft sich die Zahl auf etwa 1000 Implantationen jährlich. Beachtet man die demogra-
phische Entwicklung in Europa, so ist schon jetzt ein signifikanter Anstieg der CI-Operationen auf Grund der steigenden
Anzahl hochgradig schwerhöriger Patienten im Alter festzustellen.
Im Rahmen der Facharztausbildung ist das Erlernen der Mikrochirurgie an anatomischen Modellen erforderlich, um ein
nötiges topographisches Wissen zu erlangen und die Fingerfertigkeit zu schulen. Für diese Zwecke werden in der Regel
humane Leichenpräparate herangezogen, die aber nicht in ausreichendem Maße zu Verfügung stehen [2,5]. Außerdem
gibt es OP-Simulationsprogramme wie VOXELMAN oder Modelle aus Gipskunststoffgemischen bzw. Keramik, die auf
Grund mangelnder Authentizität mit dem humanen Originalpräparat nicht konkurrieren können [3,4]. Gerade für Coch-
lear-Implant-Operationen ist ein Übungsmodell erforderlich, welches die physiologischen Hohlräume des Innenohres
originalgetreu nachbildet.
Dies konnte durch Anatomische Faksimilemodelle (AFM) des menschlichen Felsenbeines durch unsere Arbeitsgruppe
realisiert werden [8]. Ebenso entscheidend wie die anatomischen Strukturen sind für den Operateur jedoch auch die hap-
tischen Eigenschaften des Operationsmodells. Dies betrifft insbesondere auch die Bohr- und Fräseigenschaften. Idealer-




                                                                                                                             139
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weise sollten diese den Eigenschaften des menschlichen Knochens entsprechen. Dazu liegen jedoch bisher keine Daten
vor. Es sollen in diesem Beitrag erste Ergebnisse der Erhebung biomechanischer Eigenschaften des Os temporale (Bohr-
und Fräseigenschaften, Biege- und Brechverhalten, Elastizitätsmodul und Hohlraumstrukturen) im Vergleich zum
Kunstharzmodell vorgestellt werden.


2         Methoden
Durch die Erhebung hochauflösender CT-Datensätze von humanen Felsenbeinen und deren Segmentierung mit Erstel-
lung entsprechender STL-Datensätze können durch Rapid-Prototyping-Verfahren adäquate Faksimile-Modelle herge-
stellt werden.
Die Bestimmung der biomechanischen Eigenschaften von humanem Knochen und AFM wurde durch folgende Metho-
den realisiert:
Die Bohr- und Fräseigenschaften wurden mit einer Deckel Maho DMU 60L 3-Achs Fräsmaschine untersucht. Diese be-
sitzt eine Spindeldrehzahl von 20 – 18.000 min-1 und Vorschubgeschwindigkeiten von 20 – 10.000 mm/min, was eine
Simulation des intraoperativen Vorgehens ermöglicht.
Der Versuchsplan sieht vor, mit fünf verschiedenen medizinischen Fräsern, wie sie im OP genutzt werden, jeweils fünf
Bohr- und fünf Umfangsfräsversuche durchzuführen. Die dabei entstehenden Kräfte in X-, Y- und Z-Richtung werden
dabei mit einem Mehrkomponenten-Dynamometer vom Typ 9255B der Firma Kistler gemessen.
Die Versuche wurden für alle fünf Fräser mit einer der Fräsergröße angepassten Drehzahl und Vorschubgeschwindigkeit
untersucht, um eine möglichst gute Vergleichbarkeit unter den Werkzeugen und auch unter den verschiedenen Materia-
lien zu haben.
Das Biege- und Bruchverhalten der Proben testeten wir mit einem eigens dafür konstruierten Versuchsaufbau im Drei-
punktverfahren (Maschinentyp: TIRAtest 2825 mit 25 kN Maximallast, Fa. TIRA GmbH Schalkau). Die Vorschubge-
schwindigkeit bei den Versuchen betrug 5 mm/min.
Des Weiteren wurde das Elastizitätsmodul mittels RFDA (Resonanz-Frequenz-Dämpfungsanalyse) bestimmt (RFDA
MF23 der Firma Integrated Material Control Engineering [IMCE N.V.]).
Um die Übereinstimmung der körperlichen Feinstruktur zu ermitteln, wurden die Proben mittels µ-CT (SkyScan 1172
von SkyScan, Kontich, Belgien) auf ihre Porengrößenverteilung und somit auf ihre Porosität des Hohlraumsystems im
trabekularen Knochenanteil untersucht.


3         Ergebnisse
Mit MikroCT-Untersuchungen wurde an Proben des humanen Os temporale Poren gefunden, deren Durchmesser im Be-
reich von einigen hundert Mikrometern bis in den unteren Millimeterbereich variiert (Abb. 1). Das Modell aus Epoxid-
                                              harz kommt dieser Struktur des menschlichen Knochens bereits in diesem
                                              Stadium der Entwicklung recht nahe (Abb. 2). Die Differenzen im Dia-
                                              gramm beruhen auf der biologischen Varianz. Die untersuchte Knochen-
                                              probe entstammt nicht der Vorlage des Modells. Zusätzlich spielt die Auf-
                                              lösung des CT-Datensatzes eine Rolle. Die Poren im Bereich unter 400 µm
                                              haben für den Operateur keine Relevanz.
                                              Bei den Bohr- und Fräsproben am humanen Felsenbein zeigten sich große
                                              Differenzen im erforderlichen Kraftaufwand. Abb. 3 zeigt exemplarisch
                                              den gemittelten Kraftaufwand von fünf Bohrungen an einer Probe. Die ho-
                                              hen Abweichungen lassen sich durch eine variable Substanzzusammensetz-
                                             ung und strukturelle Unterschiede des Biomaterials Knochen erklären. Auf
 Abb. 1: MikroCT-Bild eines humanen          diese muss sich der Operateur einstellen. Hier muss gezeigt werden, dass
 Felsenbeins                                 der Kraftaufwand bei den Bohr- und Fräsproben am AFM etwa im mittleren
                                             Bereich des Kraftbedarfes bei humanen Proben liegt. In der Versuchsreihe
                                             zur Biegespannung zeigt sich eine starke Abhängigkeit von der Materialdi-
cke (Abb. 4, 5). Eine einheitliche Dicke kann auf Grund der Variabilität des Biomaterials nicht gewährleistet werden.
Gleicht man die Oberfläche der Proben einander an, zerstört man dadurch die anatomische Binnenstruktur, die für die
Festigkeit sorgt und verfälscht die Ergebnisse. Die Epoxidharzmodellprobe ist weicher als Knochen. Für eine vergleich-
bare Durchbiegung ist für den Knochen eine höhere Biegespannung aufzubringen. Die AFM-Proben zeigen ähnliche
Biegeeigenschaften wie die Knochenprobe 3 (Abb. 4, 5).
Erste Ergebnisse zur Bestimmung des Elastizitätsmoduls zeigen, das Biomaterial und AFM-Werkstoffe noch sehr große
Unterschiede aufweisen (Tab.1). Verglichen wurden fünf Proben aus unterschiedlichem Epoxidharz und verschiedenen




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                                                                                                                                  10. CURAC-Jahrestagung, 15. - 16. September 2011, Magdeburg




Herstellern mit der eines humanen Felsenbeins. Dabei wurde jede Probe 5 x gemessen. Das Modell AFM1 entspricht am
ehesten den Eigenschaften des menschlichen Felsenbeines. Dieses AFM ist auch das einzige Modell, an dem ein freier
cochleärer Hohlraum ohne Supportmaterial konstruiert werden konnte.

                                                                                                                                                                 Abb. 2: Porengröße in µm eines
                                                                                                                                                                 typischen humanen Felsenbein
                                                                                                                                                                 (Probe 20 x 5 mm, Temporal-
                                                                                                                                                                 schuppe des Felsenbeines); Recht-
                                                                                                                                                                 eck. Im Vergleich dazu eine ent-
                                                                                                                                                                 sprechende Probe aus Epoxidharz
                                                                                                                                                                 mit ähnlicher Porenverteilung;
                                                                                                                                                                 Kreis.




                                                                                                          Abb. 3: Gemittelte Kraft aus fünf Bohrungen an einem
                                                                                                          humanen Felsenbeinpräparat mit einem 4,0 mm Dia-
                                                                                                          mantfräser. Gezeigt ist der Kraftaufwand in Vorschub-
                                                                                                          Richtung. (Spindeldrehzahl: 5000 min-1, Vorschub:
                                                                                                          100mm/min)




                                          Felsenbein - Ergebnisse der Biegeversuche                                                        Epoxidharzmodelle - Ergebnisse
                            110                                                                                                                  der Biegeversuche
                                                                                                                                 110
                            100                                                                                                  100                                                        Probe 2
                            90                                                                                                    90
                            80                   Probe 7                                                                                                                                           Probe 3
      Biegespannung [MPa]




                                                                                                                                  80
                            70        Probe 4              Probe 1
                                                                                                           Biegespannung [MPa]




                                                                                                                                  70                   Probe 5
                                                            Probe 5                                                                                                             Probe 9                       Probe 1
                            60
                                                               Probe 6                                                            60                                                            Probe 8
                            50                                                                                                                                             Probe 4
                                                               Probe 2                                                            50              Probe 10
                            40                                                                                                                                                                               Probe 7
                                                               Probe 3                                                            40
                            30
                                                                                                                                  30        Probe 6
                            20
                                                                                                                                  20
                            10
                                                                                                                                  10
                             0
                                  0      0,2    0,4    0,6       0,8     1       1,2   1,4   1,6   1,8                             0
                                                             Durchbiegung [mm]                                                         0    0,2       0,4    0,6     0,8        1         1,2        1,4      1,6       1,8
                                                                                                                                                                   Durchbiegung [mm]


  Abb. 4: Biegespannung in MPa in Abhängigkeit von                                                       Abb. 5: Biegespannung in MPa in Abhängigkeit von der
  der Durchbiegung in mm von 7 verschiedenen Fel-                                                        Durchbiegung in mm von 10 verschiedenen Epoxid-
  senbeinproben. Zu beachten ist eine direkte Abhän-                                                     harzmodellen (AFM). Zu beachten ist eine direkte Ab-
  gigkeit von der biologischen Variabilität der Proben-                                                  hängigkeit von der biologischen Variabilität der Pro-
  dicke.                                                                                                 bendicke der Originalpräparate, nachdem die Modelle
                                                                                                         gefertigt wurden.




                                                                                                                                                                                                                              141
10. CURAC-Jahrestagung, 15. - 16. September 2011, Magdeburg




                         AFM 1            AFM 2               AFM 3   AFM 4        AFM 5            humanes FB
Länge (mm)               19,45            19,95               22,95   21,65        22,9             20
Breite (mm)              14,2             13,35               15,6    18,75        19,2             11,1
Höhe (mm)                2,45             2,45                2,45    2,45         2,45             5,8
Gewicht (g)              0,8              0,741               1,102   0,953        0,775            2,173


E-Modul (GPa)            2,62             2,77                5,25    3,2          2,98             1,4
Fehler (GPa)             0,19             0,2                 0,38    0,23         0,21             0,3


Fehler (Gewicht)         0,001 g
 Fehler (L, B, H)      0,05 mm
Tab. 1: Elastizitätsmodul, bestimmt aus 5 unterschiedlichen AFM im Vergleich zu einem humanen Felsenbeinknochen


4         Diskussion
Felsenbeinpräparate sind in der otologischen Forschung, Lehre und Ausbildung unentbehrlich [1,2,5,7]. Es stehen dafür
nicht ausreichend Originalpräparate zur Verfügung. Mit Hilfe eines Rapid-Prototyping-Verfahrens (Stereolithographie)
ist eine Faksimilegenerierung beliebiger Felsenbeinvorlagen gelungen [6,8]. Mit den erhaltenen Modellen sind die ana-
tomischen Gegebenheiten und Lagebeziehungen der unterschiedlichen Strukturen gut beurteilbar.
Insgesamt können anatomische Faksimilemodelle (AFM) des Felsenbeins natürlich ein Originalpräparat nicht ersetzen,
aber unter den jetzigen Gegebenheiten bieten sie eine Alternative für den sich in der Felsenbeinpräparation übenden
Operateur, den Studenten und den Forscher.
Das Felsenbeinmodell aus Epoxidharz lässt sich in gleicher Weise durch spanabhebende Verfahren (Fräsen und Bohren)
ohne Probleme bearbeiten. Dabei erfolgt die Präparation in gleicher Form wie beim Originalfelsenbein unter Spülung
mit Wasser, so dass eine inhalative Intoxikation durch das abgetragene Kunstharz ausgeschlossen ist. Weitere Vorkeh-
rungen sind nicht notwendig. Trotz der Härte hat das Material eine ausreichende Elastizität, sodass ein Bruch sehr dün-
ner Strukturen nicht auftritt. Die weitere Anpassung der Werkstoffeigenschaften ist eine der Voraussetzungen, um die
vorgestellten Modelle weiter zu verfeinern und sich dem Original weiter zu nähern. Für die Bestimmung der biomecha-
nischen Eigenschaften der Originalproben als auch der Modelle stellt sich die biologische Variabilität des Materials als
Problem dar. Des Weiteren muss beachtet werden, dass jedes AFM von unterschiedlichen Originaldatensätzen des Fel-
senbeines erstellt wird. Auch hier liegt dadurch eine große Variabilität vor.


5         Referenzen
1.    Begall K, Vorwerk U (1998) Artificial petrous bone produced by stereolithography for microsurgical dissecting ex-
      ercises. ORL 60:241-245
2.    Gurr A et al. (2009) Die Bedeutung von Präparationskursen in der HNO-Heilkunde. Laryngo-Rhino-Otol 88:789-
      792
3.    Schneider G, Muller A (2004) Multicenterstudie zum Jenaer Felsenbeinmodell. Laryngorhinootologie 83:363-366
4.    Schwager K, Gilyoma JM (2003) Keramisches Arbeitsmodell für Felsenbeinübungen – eine Alternative zum huma-
      ne Felsenbein? Laryngorhinootologie 82:683-686
5.    Suzuki M et al. (2004) Rapid prototyping of temporal bone for surgical training and medical education. Acta Otola-
      ryngol 124:400-402
6.    Vorwerk U et al. (1997) Herstellung identischer Felsenbeinmodelle für Klinik und Forschung durch Rapid-
      Prototyping-Verfahren. Otorhinolaryngol Nova 7:178-183
7.    Vorwerk U, Begall K (1998) Präparierübungen am künstlichen Felsenbein. Herstellung von Felsenbeinfaksimiles
      durch Stereolithographie. HNO 46:246-251
8.    U. Vorwerk, C. Beyer, K.-H. Grote, C. Arens und W. Vorwerk (2011) Die Realisierung von anatomischen Felsen-
      beinfaksimilemodellen mit cochleären Hohlraumstrukturen. Laryngorhinootologie, in press




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