=Paper= {{Paper |id=Vol-1781/paper5 |storemode=property |title=Komplexe Auswertung von Fachinformationen am Beispiel der Fachanwendung Grundwasser Baden-Württemberg |pdfUrl=https://ceur-ws.org/Vol-1781/paper5.pdf |volume=Vol-1781 |authors=Martin Schmieder,Jürgen Moßgraber |dblpUrl=https://dblp.org/rec/conf/uis/SchmiederM16 }} ==Komplexe Auswertung von Fachinformationen am Beispiel der Fachanwendung Grundwasser Baden-Württemberg== https://ceur-ws.org/Vol-1781/paper5.pdf
             Beitrag E: Martin Schmieder, Jürgen Moßgraber

Komplexe Auswertung von Fachinformationen am Beispiel
   der Fachanwendung Grundwasser Baden-Württemberg




                       Martin Schmieder, Jürgen Moßgraber,
     Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB,
                       martin.schmieder@iosb.fraunhofer.de ,
                  mailto:juergen.mossgraber@iosb.fraunhofer.de




Abstract
Advanced reporting obligations and stricter legal regulations increase the requirements
on modern environmental information systems. Specialized applications have to sup-
port new ways of analysis and representation of the collected data in order to gain new
insights. The article presents the thematic application for groundwater management in
Baden-Württemberg, which is tailored to the needs of the users in the environmental
agencies. Three typical use cases are described: calculation and visualization of the
influence of geothermal drilling on the groundwater temperature, trend analysis on
groundwater quality data according to legal regulations, new diagrams to clearly visu-
alize and compare fluctuations of groundwater levels.



1 Einleitung
Erweiterte Berichtspflichten und strengere gesetzliche Vorgaben erhöhen die
Anforderungen an moderne Umweltinformationssysteme. Es sind maßgeschneiderte
Fachanwendungen erforderlich, die neuartige Auswertungen der erfassten Daten
ermöglichen. Es ist nun nicht mehr ausreichend, einfache Datenkurven von
Messwerten zu zeichnen, stattdessen müssen Daten kombiniert und in komplexen
Darstellungen präsentiert werden, die neue Einblicke ermöglichen.

Im Bereich der Wasserwirtschaft sind in Deutschland viele unterschiedliche IT-
Systeme im Einsatz, die neben der Datenhaltung ein Standard-Repertoire statistischer
Auswertungen anbieten. Dabei stehen meist Zeitreihenanalysen der Messergebnisse
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im Vordergrund. Oft ist ein Geoinformationssystem (GIS) für Kartenvisualisierungen
(z.B. zur Schadstoffkonzentration) integriert oder kann extern angebunden werden
[Fischer-Stabel, 2013]. Export- und Import-Schnittstellen z.B. zu Labordatensystemen
und Office-Anwendungen sind wesentlich für Datenaustausch, Weiterverarbeitung und
Berichtspflichten. Entscheidend für die Akzeptanz eines Systems ist aber, dass es die
typischen Aufgaben bei Umweltbehörden oder Ingenieurbüros optimal unterstützt, um
z.B. rasch den Trendverlauf gefährdender Parameter nach den Maßgaben der
Grundwasserverordnung [BMJV, 2010] zu bewerten oder die Auswirkungen
geothermischer Bohrungen auf das Grundwasser beurteilen zu können. Solche
Fragestellungen lassen sich mit generischen Datenbankanwendungen oft nicht auf
einfache Weise beantworten.

Der Artikel stellt die Fachanwendung Grundwasser in Baden-Württemberg vor, die
dem Sachbearbeiter in dieser Hinsicht weitreichende Unterstützung bietet. Es werden
drei Anwendungsfälle exemplarisch beschrieben.



2 Die Fachanwendung Grundwasser
Die Fachanwendung Grundwasser (Grundwasserdatenbank GWDB) ist ein flexibles
Datenhaltungs- und Auswertewerkzeug für Grundwasserdaten. Sie ist auf allen
Ebenen der Umweltverwaltung Baden-Württembergs sowie bei der dortigen
Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz LUBW seit vielen Jahren im
produktiven Einsatz [LUBW, 2015] [Schuhmann, 2015]. Seit einigen Jahren ist die
Fachanwendung auch bei Deponiebetreibern des Landes für Eigenüberwachungs-
aufgaben und Berichtspflichten der Abfallwirtschaft im Einsatz.

Als Gewässerinformationssystem ist die Fachanwendung Grundwasser eine
Ausprägung der Produktlinie WaterFrame® des Fraunhofer-Instituts für Optronik,
Systemtechnik und Bildauswertung (Fraunhofer IOSB). Es handelt sich dabei um eine
Familie von in JAVA programmierten Datenbankanwendungen auf der Basis
gemeinsamer Grundbausteine und Frameworks. Weitere Ausprägungen und fachliche
Erweiterungen (u.a. für Oberflächengewässer) wurden im Rahmen der FIS Gewässer-
Kooperation zwischen Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen entwickelt
[Stumpp, 2014] [Schmieder, 2014].




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Die Fachanwendung Grundwasser ist ein Modul im Umweltinformationssystem Baden-
Württemberg und nutzt die in diesem Umfeld bereitgestellten Dienste. Insbesondere
wird durch die Einbindung von Cadenza/GISterm der Firma Disy die integrierte
Datenselektion und Kartendarstellung ermöglicht [Disy, 2016].

In Baden-Württemberg werden über die Fachanwendung Grundwasser in erster Linie
die folgenden Datenkategorien verwaltet und ausgewertet:

    Stammdaten zu Brunnen, Quellen und weiteren Grundwassermessstellen (ca.
     90.000 Objekte) sowie zu geothermischen Anlagen (ca. 25.000 Objekte).

    Qualitative (chemisch-physikalische) Messwerte aus Grundwasseranalysen. Das
     Landesmessnetz umfasst ca. 150.000 Analysen mit ca. 3,3 Millionen Einzelwerten.

    Quantitative Messwerte zu Grundwasserständen, Quellschüttungen, Sickerwas-
     ser- und Niederschlagsmengen etc. im Umfang von ca. 20 Millionen.

Hinzu kommen spezielle Stammdaten und Messwerte im Deponiebereich.

In jedem der genannten Bereiche werden teilweise komplexe Auswertungen benötigt,
um Diagramme, Karten und Berichte zu erstellen. Drei Anwendungsfälle werden in den
folgenden Abschnitten exemplarisch vorgestellt. Bei den Stammdaten wird im Bereich
Geothermie    die    Berechnung    und    Kartendarstellung   von     Temperaturfeldern
beschrieben. Qualitative Messwerte werden beispielsweise durch Trendanalysen nach
Vorgaben der Grundwasserverordnung ausgewertet. Im Bereich der quantitativen
Messwerte wird anhand der Visualisierung von Nass- und Trockenperioden ein
Beispiel für die vielfältigen Möglichkeiten bei Diagrammdarstellungen gegeben.



3 Temperaturfeldberechnung
Grundwasserwärmepumpen werden in Baden-Württemberg zunehmend für Heiz- und
Kühlzwecke im privaten und gewerblichen Bereich eingesetzt. Dazu wird Grundwasser
gefördert, dem mittels Wärmetauscher Energie entzogen (zum Heizen) bzw. zugeführt
(zum Kühlen) wird. Anschließend wird das thermisch veränderte Grundwasser wieder
in   denselben      Grundwasserleiter    zurückgegeben.   Die       dabei   entstehende
Temperaturfahne in Richtung des Grundwasserabstroms birgt ein Konfliktpotenzial, da
sie sich in der Regel über mehrere Nachbargrundstücke erstreckt. Im Zuge des
Genehmigungsverfahrens für geothermische Anlagen ist es daher erforderlich, ein

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Temperaturfeldprofil des Grundwassers zu erstellen. Hierbei werden Linien gleicher
Temperaturdifferenz          berechnet.     Diese       sogenannten        Isothermen       bilden    das
Temperaturfeld und werden auf die Fließrichtung des Grundwassers ausgerichtet.
Abbildung E-1 zeigt ein Temperaturfeld, das mittels der Fachanwendung Grundwasser
berechnet     und      direkt    im   dort       integrierten    GIS       dargestellt     wurde.     Die
Temperaturdifferenz nimmt von Rot nach Blau ab.




                    Abbildung E-1: Temperaturfeld und Berechnungsformel

Grundlage für die Berechnung und Bewertung von Temperaturfeldern ist ein vom
Umweltministerium Baden-Württemberg herausgegebener Leitfaden [UM BW, 2009].
Das dort beschriebene Verfahren ist für kleinere Anlagen (Energieentzug bis ca.
45.000 kWh pro Jahr) geeignet. Neben anlagespezifischen Parametern (z.B.
Infiltrationsrate      und      Differenz        zwischen       Einleit-      und        unbeeinflusster
Grundwassertemperatur)           gehen      in    die    Berechnung        Größen        ein,   die   den
Grundwasserleiter charakterisieren. Als Ergebnis erhält man an der Koordinate (x, y)
die gesuchte Isotherme als Differenz zur Grundwassertemperatur.

In der Anwendung wurde ein eigenes Fachobjekt „Temperaturfeld“ eingeführt, das alle
für die Berechnung notwendigen Parameter umfasst und geothermischen Anlagen
zugeordnet wird. Es steuert die Berechnung der relevanten Isothermen, deren
Polygonzüge wie bei anderen Geo-Themen (z.B. Grundwassereinzugsgebiet) als
Geometrie in der Datenbank abgelegt werden und sich somit gemeinsam mit anderen
Themen in Karten darstellen lassen. Einer geothermischen Anlage lassen sich


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zugleich     mehrere   Temperaturfeld-Instanzen    zuordnen,   die   sich   in   den
Berechnungsparametern und den resultierenden Isothermen unterscheiden.



4 Trendanalyse zur Grundwasserverordnung
Die Grundwasserverordnung (GrwV) vom 9. November 2010 schreibt in § 10 für die
als gefährdet eingestuften Grundwasserkörper die Ermittlung und Bewertung der
Konzentrationstrends für bestimmte Parameter wie z.B. den Nitratgehalt vor [BMJV,
2010]. Als zulässige Methoden sind spezifiziert:

   eine lineare Regression nach dem gaußschen Prinzip der kleinsten quadratischen
    Abweichung gekoppelt mit einem Ausreißer-Test

   ein Mann-Kendall-Test als parameterfreier, robuster Trendtest

Als Betrachtungszeitraum werden in der GrwV gleitende Sechs-Jahres-Intervalle zu
Grunde gelegt. Für jedes Intervall wird nach den angegebenen Methoden der Trend
ermittelt und dessen Steigung als Zeitreihe eingetragen. Der Übergang von einem
steigenden in einen fallenden Trend (oder umgekehrt) wird als Trendumkehr
bezeichnet und lässt sich aus einem Nulldurchgang dieser Zeitreihe bestimmen.




           Abbildung E-2: Trendanalyse mit der Fachanwendung Grundwasser

Abbildung E-2 zeigt die Umsetzung in der Fachanwendung Grundwasser. Es werden
beide Methoden mit einem gewählten Datenkollektiv parallel durchgeführt und das
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Ergebnis in einer Kombination aus Tabelle und Diagrammen dargestellt. Durch farblich
markierte Zellen (rot: steigender Trend, grün: fallender Trend) ist eine Trendumkehr
sofort erkennbar.



5 Diagramme der Nass- und Trockenperioden
Im Bereich der Diagramme erlaubt die Fachanwendung Grundwasser sehr
unterschiedliche Darstellungsweisen. Die klassische Darstellung von Messwerten als
Zeitreihen mit oder ohne Trendgerade ist oft nicht ausreichend. Die in Abbildung E-3
für   eine   Messstelle      exemplarisch     dargestellte    Diagrammform    „Nass-     und
Trockenperioden“ wurde durch die LUBW neu entwickelt, um sehr anschaulich
Perioden mit unter- bzw. überdurchschnittlichen Grundwasserständen sichtbar zu
machen.




      Abbildung E-3: Diagramm zur Darstellung von Nass- und Trockenperioden

Der   fett   gezeichnete      Kurvenverlauf    visualisiert   monatliche   Mittelwerte   der
Grundwasserstände an der Messstelle im betrachteten Zeitraum. Zusätzlich sind im
mittleren    Bereich   des    Diagramms       die   langjährigen   Monatsmittelwerte     des
Grundwasserstands zu sehen, die sich in jährlichem Rhythmus wiederholen.
Kurvenbereiche, in denen die langjährigen Werte überschritten sind, sind blau gefärbt,
eine Unterschreitung wird rot gekennzeichnet. Mit dieser Darstellungsform sind
Abfolge, Dauer und Intensität von Nass- und Trockenperioden sehr deutlich erkennbar.


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Diese Diagrammform wurde in der Fachanwendung nicht fest ausprogrammiert,
sondern lässt sich dort mit dem Konfigurationswerkzeug Diagramm-Assistent interaktiv
erstellen und als Vorlage abspeichern. Sie findet sich mittlerweile auch im
Internetangebot „Grundwasserstände und Quellschüttungen“ (GuQ) der LUBW
[LUBW,    2016].   Die   dort   veröffentlichten   Diagramme   werden   anhand    der
Fachanwendung Grundwasser erstellt und regelmäßig aktualisiert.



6 Zusammenfassung und Ausblick
In diesem Artikel wurden neuartige Auswertemöglichkeiten gezeigt, die exemplarisch
aktuelle Anforderungen in diesem Bereich widerspiegeln. Neuartige Visualisierungen
wie die Diagrammform „Nass- und Trockenperioden“ bieten schnellere Einsichten in
die relevanten Fragestellungen.

In Zukunft stellt sich vermehrt die Frage, wie nun diese Erkenntnisse auch in Richtung
des Bürgers transportiert werden können. Hierzu müssen die Daten in verständlicher
Form auf Webseiten zur allgemeinen Verfügung gestellt werden. Es ist zu prüfen,
inwiefern sich andere Darstellungsarten als die aktuell gebräuchlichen Kurvenverläufe
für die Zielgruppe eignen.



7 Literaturverzeichnis
[BMJV, 2010]

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Verordnung zum Schutz des
Grundwassers. http://www.gesetze-im-internet.de/grwv_2010/index.html

[Disy, 2016]

Disy Informationssysteme GmbH: Cadenza.
http://www.disy.net/produkte/cadenza.html

[Fischer-Stabel, 2013]

Peter Fischer-Stabel (Hrsg.): Umweltinformationssysteme. Grundlegende Konzepte
und Anwendungen. Wichmann, Heidelberg, 2013

[LUBW, 2015]



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Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg:
Grundwasser-Überwachungsprogramm. Ergebnisse der Beprobung 2014. Reihe
Grundwasserschutz Bd. 51. Karlsruhe, 2015.

[LUBW, 2016]

Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg:
Grundwasserstände und Quellschüttungen.
http://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/2702/

[Schmieder, 2014]

Schmieder, Martin et al.: GWDB Neue Entwicklungen in der WIBAS-Fachanwendung
Grundwasser. In: Weissenbach, K. et al. (Hrsg.): Umweltinformationssystem Baden-
Württemberg F+E-Vorhaben MAF-UIS Moderne anwendungsorientierte Forschung
und Entwicklung für Umweltinformationssysteme, Phase II 2012/14, KIT Scientific
Reports 7665, Karlsruhe, 2014

[Schuhmann, 2015]

Schuhmann, Dieter; Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-
Württemberg: Handbuch „Grundwasserdatenbank“. LUBW-Fachbroschüre. Karlsruhe,
2015

[Stumpp, 2014]

Stumpp, Jörg; Hilbring Desiree et al.: WaterFrame® Neue Entwicklungen in den
Gewässerinformationssystemen in Baden-Württemberg, Thüringen und Bayern. In:
Weissenbach, K. et al. (Hrsg.): Umweltinformationssystem Baden-Württemberg F+E-
Vorhaben MAF-UIS Moderne anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung für
Umweltinformationssysteme, Phase II 2012/14, KIT Scientific Reports 7665,
Karlsruhe, 2014

[UM BW, 2009]

Umweltministerium Baden-Württemberg: Leitfaden zur Nutzung von Erdwärme mit
Grundwasserwärmepumpen. Stuttgart, 2009.




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