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==Arbeitsprozess-integriertes Projekt- Studium in Unternehmen==
Arbeitsprozess-integriertes Projekt-
Studium in Unternehmen
Frank Fuchs-Kittowski, HTW Berlin
frank.fuchs-kittowski@htw-berlin.de
Jörn Freiheit, HTW Berlin
joern.freiheit@htw-berlin.de
Juliane Siegeris, HTW Berlin
juliane.siegeris@htw-berlin.de
Zusammenfassung während der Arbeit auftretende Wissenslücken
schließen, stehen selbstorganisierte Lernprozesse
In diesem Beitrag wird das Konzept des Projektstu‐
und die Entwicklung von Handlungskompetenz im
diums im berufsbegleitenden Masterstudiengang
Vordergrund.
„Professional IT‐Business“ an der HTW Berlin be‐
Doch die Förderung von Kompetenzen hängt
schrieben. Es beinhaltet mehrere Elemente, die das
wesentlich davon ab, in welcher Art die projektori‐
arbeitsprozess‐integrierte Lernen (Lernen in realen
entierten Lehr‐ und Lernveranstaltungen organisiert
Arbeitsprozessen und Projekten in Unternehmen)
und durchgeführt werden. Dies hängt insb. von drei
ermöglichen und unterstützen sollen. Das Konzept
Faktoren ab (Jung, 2009):
versteht sich als eine innovative Lösung zur Kompe‐
x den Inhalten und Rahmenbedingungen des
tenzentwicklung durch projektorientierte, arbeits‐
Projekts,
prozess‐integrierte Lehr‐ und Lernformen in Koope‐
ration von Hochschule und Unternehmen.
x den Lehrenden und ihrer Auffassung von
Betreuung und
x den Studierenden und ihrer Bereitschaft, die
Einleitung Herausforderungen der Projektbearbeitung
anzunehmen.
Projektorientierte Lehr‐ und Lernformen (Projekt‐
studium) fördern die berufliche Handlungskompe‐ Bei der Projektarbeit von Studierenden in Unterneh‐
tenz (Tippelt, 1979). Die Durchführung von projekt‐ men stellen sich aufgrund unterschiedlicher Pro‐
orientierten Lehr‐ und Lernformen gehört daher jekte und Rahmenbedingungen in den Unterneh‐
heute bereits in vielen Studiengängen zum Curricu‐ men eine Reihe von Herausforderungen auch für die
lum (Liebehenschel, 2013) und dient der Stärkung Studierenden und Lehrenden:
des Praxisbezugs von Studiengängen (Kruse, 2009; x Wie lassen sich Projektarbeit und Lernen
Kleuker et.al., 2011). sinnvoll verbinden?
Zudem findet Projektstudium heute vielfach be‐ x Wie kann das Erreichen von Lernzielen und
reits direkt in Unternehmen statt (Siegeris et.al., Kompetenzentwicklung sichergestellt wer‐
2015). Die Studierenden lernen ein echtes Arbeits‐ den?
umfeld kennen und übernehmen Aufgaben in rea‐ x Wie lassen sich in Projekten Vorgaben für
len Projekten, wodurch sie ihr erworbenes Wissen in Lerninhalte, durchzuführende Tätigkeiten
der Praxis anwenden und neue Erfahrungen sam‐ und zu erwerbende Kompetenzen machen?
meln können (Lewerentz & Rust, 2001). Hierbei x Wie können Studierende in der Projektar‐
wird das Lernen stärker in den realen Arbeitspro‐ beit adäquat unterstützt werden?
zess verlagert (Arbeitsort als Lernort) und orientiert x Wie lassen sich die in Projekten erbrachten
sich an realen Arbeitsaufgaben (anstelle fixierter, Leistungen und Lernerträge vergleichen
vorgeschriebener Inhalte / Curriculum). Begriffe wie und bewerten?
„Learning by Doing“ oder „Trainee‐Programm“ be‐ Um gezielt die Handlungskompetenz von Studie‐
schreiben Konzepte im betrieblichen Kontext, die in renden zu fördern, wurde an der HTW Berlin ein in‐
diese Richtung gehen. Durch das „Lernen im Ar‐ novatives Konzept für die Durchführung des Pro‐
beitsprozess“, bei dem die Studierenden selbständig jektstudiums im Rahmen des berufsbegleitenden
Bernd Bruegge, Stephan Krusche (Hrsg.): SEUH 2017 41
Frank Fuchs-Kittowski, Jörn Freiheit und Juliane Siegeris - Arbeitsprozess-integriertes Projekt- Studium in Unternehmen
Masterstudiengangs „Professional IT‐Business“ ent‐ und ‐professoren der HTW in Kooperation mit Ver‐
wickelt. Ein Student im Projektstudium lernt dabei tretern der Unternehmen IBM, SAP, BVG (Berliner
im Arbeitsprozess, in realen Projekten (Praxispro‐ Verkehrsbetriebe), KPMG, Bosch und RBB (Rund‐
jekt) in (seinem) Unternehmen. Das Lernen in der funk Berlin Brandenburg) entwickelt.
Arbeit gestaltet der Studierende dabei selbst, wird
aber umfassend personell und technisch unterstützt.
Ein prozess‐orientiertes Curriculum, sog. Referenz‐
projekt, strukturiert das Projektstudium. Es dient
der Auswahl des Praxisprojekts, der Planung der
Arbeits‐ und Lernprozesse und schließlich auch
dem Nachweis des erfolgreichen Projektstudiums.
Alle Prozesse des Referenzprojekts müssen nach‐
weislich beherrscht werden, indem sie bewältigt
und dabei reflektiert und dokumentiert werden. In
diesem Beitrag sollen die wesentlichen Bausteine
dieses Konzepts dargestellt werden.
Abb. 1: Curriculum des Studiengangs „Professional
Dieser Beitrag ist wie folgt strukturiert: Nach ei‐
ner kurzen Vorstellung des berufsbegleitenden Mas‐ IT‐Business“
terstudiengangs „Professional IT‐Business“ und des
Moduls „Projektstudium“ wird zunächst das didak‐ Insgesamt werden in dem Master 90 Leistungs‐
tische Konzept dieses Moduls präsentiert. Dies um‐ punkte erzielt. Im ersten und im vierten Semester
fasst a) das Referenzprojekt als prozessorientiertes werden jeweils 25, in den beiden anderen Semestern
Curriculum, b) die Vorgehensweise für das Lernen jeweils 20 Leistungspunkte vergeben.
im Arbeitsprozess sowie c) organisatorische und Im ersten Semester werden die Lehrveranstal‐
technische Instrumente zur Unterstützung der im tungen Cloud‐Computing, Analytics sowie Require‐
Arbeitsprozess Lernenden. Danach wird anhand ments‐Engineering und Change‐Management in
des „Data Analyst“ ein Beispiel eines prozess‐orien‐ klassischer Form durchgeführt. In Cloud‐Compu‐
tierten Curriculum (Referenzprojekt) beschrieben. ting werden Cloud‐Konzepte und ‐Architekturen
Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung und betrachtet und angewendet. Requirements‐Enginee‐
einem Ausblick. ring und Change‐Management befasst sich mit dem
organisatorischen und technischen Wandel in IT‐
Unternehmen. Die Veranstaltung „Analytics“, in
Berufsbegleitender Masterstudien- der Methoden zur Analyse strukturierte und un‐
strukturierte Daten zur Erreichung von Geschäfts‐
gang „Professional IT-Business“ ziele erlernt werden, vermittelt die Grundlagen für
An der Hochschule für Technik und Wirtschaft das im ersten Semester ebenfalls zu absolvierende
(HTW) Berlin, der größten Hochschule für ange‐ Projektstudium I, in welchem ein Projekt zum
wandte Wissenschaften in den neuen Ländern, stu‐ Thema „Analytics“ bearbeitet werden soll.
dieren mehr als 13.000 Studierende in 70 Studien‐ Im zweiten Semester werden in der Veranstal‐
gängen in den Studienrichtungen Gestaltung, Infor‐ tung Mobile Computing mobile, dezentrale Systeme
matik, Kultur, Technik und Wirtschaft. 7 Studien‐ mithilfe moderner Technologien erstellt. Im Enter‐
gänge davon haben einen starken Fokus auf Infor‐ prise Architecture‐Management werden System‐
matik bei unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung. landschaften unter Verwendung von z.B. UML
Eigens für berufsbegleitenden Studiengänge (Unified Modeling Language) und ODP (Open Dis‐
wurde an der der HTW das „Berliner Institut für tributed Processing) entworfen, modelliert und ana‐
Akademische Weiterbildung der HTW Berlin“ (BI‐ lysiert. Das Projektstudium II thematisiert entspre‐
fAW) eingerichtet, um „die weiterbildenden, gebüh‐ chend das „Design eines Systems“.
renpflichtigen Masterprogramme und diejenigen Im dritten Semester werden in der Veranstal‐
Bachelor‐ und Masterprogramme, die als Fernstu‐ tung IT‐Security u.a. Sicherheitsarchitekturen und
dium angeboten werden, zu betreuen sowie die Angriffsszenarien untersucht. Themen der Veran‐
Weiterbildungsangebote der Hochschule zu bün‐ staltung IT‐Controlling sind u.a. Total‐Cost‐of‐Ow‐
deln.“ (HTW Berlin, 2014). Unter dem Dach des BI‐ nership‐Analysen und Berechnungen von Ge‐
fAW wird auch der berufsbegleitende Masterstudi‐ schäftswerten, Return on Investments und Business
engang „Professional IT‐Business“ durchgeführt. Cases. Thema des im dritten Semester durchgeführ‐
ten Projektstudium III ist „IT‐Controlling“.
Curriculum des Studiengangs Im vierten Semester ist die zentrale Aufgabe die
Das Curriculum des Studiengangs (siehe Abbildung Erstellung der Masterarbeit. Dies wird durch ein
1) wurde seit 2013 von Informatikprofessorinnen Masterseminar begleitet.
Bernd Bruegge, Stephan Krusche (Hrsg.): SEUH 2017 42
Frank Fuchs-Kittowski, Jörn Freiheit und Juliane Siegeris - Arbeitsprozess-integriertes Projekt- Studium in Unternehmen
Berufsbegleitung x Analytics (1. Sem.)
Das berufsbegleitende Studium im Masterstudien‐ x IT‐Systems‐ Design (2. Sem.)
gang „Professional IT‐Business“ ist kostenpflichtig. x IT‐Controlling (3. Sem.)
Derzeit kostet ein Studienplatz 16.500 Euro. Die Stu‐ Neben den verschiedenen fachlichen Schwerpunk‐
diengebühren werden in der Regel von den Unter‐ ten sollen auch unterschiedliche soziale Fähigkeiten
nehmen bezahlt. Diese ermöglichen ihren Mitarbei‐ vermittelt werden:
tern somit durch das Tragen der Gebühren und das x Kommunikationsfähigkeit,
Einräumen zeitlicher Freiheit für das Studium. x Führungsfähigkeiten,
Studierende des Studiengangs benötigen einen x Verhandlungs‐ und Verkaufsfähigkeiten.
Bachelorabschluss und eine mindestens einjährige Das Thema des Projektstudiums im ersten Semester
Berufserfahrung nach diesem Abschluss, ehe sie mit ist „Analytics“. Die Studierenden wenden dabei die
dem Master beginnen dürfen. in der begleitenden Lehrveranstaltung „Analytics“
Die Studierenden arbeiten im Semester montags erworbenen Kenntnisse an einem Projekt an, das
bis donnerstags in ihren Unternehmen und nehmen (idealerweise) in ihrem jeweiligen Unternehmen
freitags und samstags an den Präsenzveranstaltun‐ durchgeführt wird. Neben dem fachlichen Schwer‐
gen an der HTW teil (8 Semesterwochenstunden pro punkt wird im Projektstudium I besonderes Augen‐
Tag). Der Aufwand für die Studierenden ist insge‐ merk auf die Weiterentwicklung der Kommunikati‐
samt immens. Der jährliche Arbeitsaufwand für das onsfähigkeiten gelegt. Dabei werden insbesondere
Studium beträgt 1125 Stunden. die interkulturelle Kommunikation und das Erzie‐
Die Studierenden bedürfen der Unterstützung len von Kompromissen geschult.
ihrer Unternehmen über das Tragen der Studienge‐ Das Projektstudium II im zweiten Semester be‐
bühren hinaus. Die Unternehmen müssen sicherstel‐ schäftigt sich mit dem Design von Systemen. Neben
len, den Studierenden einerseits die Freiräume für diesem fachlichen Schwerpunkt werden Führungs‐
das Studium schaffen und sie andererseits auch or‐ fähigkeiten, insbesondere bei Umgestaltungen und
ganisatorisch, z.B. durch den Einsatz in geeigneten Transformationen von Organisationssystemen, ge‐
Projekten zu unterstützen. Es werden deshalb Ko‐ schult.
operationsverträge mit den Unternehmen abge‐ Thema des Projektstudiums III im dritten Se‐
schlossen. Die Unternehmen verpflichten sich darin mester ist das Controlling von IT‐Projekten. Darin
zur Abnahme einer bestimmten Anzahl von Stu‐ werden auch die Fähigkeiten des Verhandelns und
dienplätzen und zur Unterstützung ihrer studieren‐ Verkaufens geschult, indem die Studierenden Ver‐
den Angestellten. handlungsstrategien anwenden sowie emotionales
Die Motivation zur erfolgreichen Durchführung Verkaufen und bewusstes Kommunizieren prakti‐
des Studiums ist bei den Studierenden und auch bei zieren.
den Unternehmen hoch. Die Unternehmen profitie‐ Das Projektstudium erfordert außer zur Einfüh‐
ren einerseits von ihren hochqualifizierten Mitarbei‐ rungsveranstaltung, zur Zwischenpräsentation und
tern und nutzen andererseits das Studienangebot, zur Abschlussprüfung keine Präsenz an der HTW.
um Mitarbeiter zu akquirieren und zu halten. Den Vielmehr ist vorgesehen, dass die Studierenden das
Studierenden wird eine Lösung für das typische Di‐ Projektstudium in ihrem Unternehmen durchfüh‐
lemma geboten, ob sie nach dem Bachelor arbeiten ren.
und Geld verdienen oder doch erst noch den Mas‐
terabschluss erringen sollten.
Die Berufserfahrung der Studierenden ermög‐ Didaktisches Konzept für das Pro-
licht eine sehr zielorientierte, strukturierte und an‐ jektstudium
wendungsnahe Durchführung des Studiums. Ne‐
ben dem eigenen Anspruch ziehen die Studierende Das Konzept für das Projektstudium sieht nicht nur
eine zusätzliche Motivation aus der Unterstützung Lernen und Arbeiten an einer Aufgabe eines Unter‐
ihres Unternehmens, das Studium erfolgreich zu ab‐ nehmens, sondern auch integriert in reale Arbeits‐
solvieren. In den Studiengang werden jährlich 20 prozesse und in reale Projekte vor: prozess‐ und pra‐
Studierende zum Wintersemester immatrikuliert. xisorientiert. Dieses Konzept für das Projektstudium
Mit erfolgreichem Abschluss des Studiums erlangen baut auf dem Konzept der Arbeitsprozess‐orientier‐
die Absolventinnen und Absolventen die Qualifika‐ ten Weiterbildung – als Beispiel für eine prozessori‐
tion ʺMaster of Science (M.Sc.)ʺ. entierte Form der betrieblichen Weiterbildung – auf
(vgl. (Fuchs‐Kittowski et al., 2001), (Rohs &
Mattauch, 2001), (Caumanns & Mattauch, 2003)).
Das Modul “Projektstudium” Das Projektstudium erfolgt daher entsprechend
In den ersten drei Semestern führen die Studieren‐ folgender Leitlinien:
den jeweils ein Projektstudium mit unterschiedli‐ x prozessorientiert (Lernen in Arbeitsprozes‐
chem thematischen Schwerpunkt durch: sen),
Bernd Bruegge, Stephan Krusche (Hrsg.): SEUH 2017 43
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x erfahrungsgeleitet (Arbeit selbst ist Lern‐ Die Referenzprojekte werden als konkrete Lehr‐
und Reflexionsgegenstand), pläne für die Projekte genutzt. Diese prozessorien‐
x selbstgesteuert (Selbststeuerung des Lern‐ tierten Curricula legen für jedes Profil verbindliche
prozesses) und Lernziele fest. Diese dürfen (und können) nicht als
x teilnehmerorientiert (Arbeitsabläufe sind auswendig lernbares Faktenwissen missverstanden
individuell durch Bezug auf das konkrete werden, vielmehr stellen sie verallgemeinerte Be‐
Projekt, aber trotzdem besteht keine Belie‐ schreibungen eines Projekts dar. Die Referenz‐Pro‐
bigkeit der Lerninhalte). jekte sind der Maßstab für die Projekte, anhand de‐
Zur Systematisierung und Unterstützung solcher rer die Teilnehmer ihr Projektstudium realisieren.
Lernprozesse am Arbeitsplatz, im Arbeitsprozess, in x Bewertet wird also die Fähigkeit, ein reales
realen Projekten wurden a) prozessorientierte Cur‐ Projekt erfolgreich durchzuführen und sich
ricula (Referenzprojekte), b) eine Vorgehensweise das dazu notwendige Wissen und Können
für das Lernen im Arbeitsprozess sowie c) organisa‐ anzueignen. Die konkreten, zu lernenden
torische und technische Instrumente zur Unterstüt‐ Inhalte werden dabei durch die Praxis (und
zung der im Arbeitsprozess Lernenden entwickelt, das Vorwissen der Teilnehmer) bestimmt;
die in den folgenden Abschnitten dargestellt wer‐ die Referenzprojekte legen aber Niveau,
den. Komplexität und Umfang der Fähigkeiten
und Fertigkeiten fest.
x Auf der Basis des Referenzprojekts sucht
Arbeitsprozesse als Lerninhalt (Referenz- der Studierende oder/und das Unterneh‐
projekt als Curriculum) men auch ein passendes, so genanntes „Pra‐
Zentraler Bestandteil des didaktischen Konzepts xisprojekt“ aus. Das Praxisprojekt muss hin‐
sind prozessorientierte Curricula für die unterschiedli‐ reichende Ähnlichkeit mit dem Referenz‐
chen Projektstudiums‐Semester bzw. Tätigkeits‐ projekt haben, um für das Projektstudium
Profile (Data Analyst, IT‐Controller, IT‐Architektur‐ anerkannt zu werden. Die Offenheit und
designer). Dabei sollen Wissen und Handeln so eng Neutralität der Referenzprojekte ermöglicht
wie möglich verzahnt werden. Zugleich soll jeder‐ es, vielfältige Praxisprojekte auszuwählen.
zeit der Bezug zur Praxis herstellbar sein. Das Referenzprojekt strukturiert dann das
Üblicherweise werden Bildungsinhalte über gesamte nachfolgende Lernen und Arbeiten
Fachthemen bzw. entlang einer Fachsystematik be‐ im realen Praxisprojekt.
schrieben. Im Projektstudium dagegen werden die
Lerninhalte auf der Grundlage von Arbeitsprozes‐
sen definiert. Für jedes Semester bzw. Profil des Pro‐ Lernen in realen Arbeitsprozessen
jektstudiums werden profiltypische Arbeitsprozesse Die Projektarbeit selbst erfolgt im Arbeitsprozess im
beschrieben. Damit wird das Handeln anstelle des Unternehmen. Der Studierende bearbeitet ein reales
Fachwissens in den Vordergrund gestellt. Projekt (Praxisprojekt), das dem Referenzprojekt ge‐
Als prozessorientierte Curricula wurden soge‐ nügt bzw. mit ihm vergleichbar ist. D. h. gelernt
nannte Referenzprojekte entwickelt. Ein Referenzpro‐ wird im alltäglichen Arbeitskontext mit den entspre‐
jekt stellt ein für das jeweilige Profil idealtypisches, chend praxisnahen Anforderungen.
verallgemeinertes Projekt anhand der zugehörigen
Arbeitsprozesse dar. D.h. in ihnen werden die zu ei‐
nem Profil gehörenden typischen Arbeitsprozesse
zu abstrakten Abläufen idealtypischer Projekte kon‐
kretisiert. Diese so genannten Referenzprozesse wie‐
derum stellen einen typischen Ablauf auf relativ ho‐
hem Abstraktions‐Niveau dar und beinhalten pra‐
xisnah alle für das Profil typischen Tätigkeiten in ih‐
rer typischen Reihenfolge. Der Referenzprozess
stellt damit in einem der Praxis entsprechenden Ab‐
Abb. 2: Ablauf des Lernens im Prozess
lauf alle Tätigkeiten eines Profils dar.
Jede Aktivität (Tätigkeitsbündel) im Referenz‐ Das Referenzprojekt strukturiert dabei das Projekt‐
prozess wird als so genannter Teilprozess weiter de‐ studium. Es dient (siehe oben):
tailliert. Auf der nun erreichten Ebene der Arbeits‐ x der Auswahl des Praxisprojekts,
handlungen werden die erforderlichen Fähigkeiten, x der Planung der Arbeits‐ und Lernprozesse
das Wissen und die Werkzeuge beschrieben. Die im Praxisprojekt und schließlich auch
Prozesse vermitteln nicht nur trockenes Faktenwis‐ x dem Nachweis der erfolgreichen Bewälti‐
sen, sondern befähigen zum Handeln. gung des Projektstudiums, d.h. alle Teilpro‐
Bernd Bruegge, Stephan Krusche (Hrsg.): SEUH 2017 44
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zesse der Referenzprozesse müssen nach‐ möglicht dabei ein generelles Vorgehen für alle Pro‐
weislich beherrscht werden, indem sie be‐ jekte mit gleichem fachlichen Fokus (z.B. Data Ana‐
wältigt und dabei dokumentiert werden. lytics). Exemplarisches Wissen zu bestimmten Tech‐
Für die Bearbeitung seines Praxisprojekts muss der nologien und Methoden wird mithilfe der Reflexion
Studierende jeden Arbeitsschritt, bspw. einen Teil‐ auf den Referenzprozess verallgemeinert.
prozess, der Teil der Referenzprozesse ist, vorberei‐ In allen drei Phasen wird der Studierende gezielt or‐
ten, durchführen und abschließend auswerten ganisatorisch und technisch unterstützt.
(siehe Abb. 2).
Organisatorische und technische Unter-
stützung
In der Phase der „Vorbereitung“ plant der Studie‐ Der Studierende eignet sich das erforderliche Wis‐
rende den Arbeitsprozess und eignet sich das not‐ sen während des realen Arbeitsprozesses an und or‐
wendige Wissen an. Die Referenzprozesse helfen bei ganisiert seinen Arbeits‐ und Lernprozess selbstbe‐
der Vorbereitung, den eigenen Arbeitsprozess anti‐ stimmt. Dabei wird der Studierende inhaltlich, per‐
zipierbarer, planbarer und damit überschaubar zu sonell und durch moderne Informations‐ und Kom‐
machen. Ein Studierender lernt auf diese Art und munikationstechnologien unterstützt.
Weise eine prozessorientierte Sicht auf seine Arbeit
kennen und lernt „in Prozessen zu denken“.
In der Phase der „Arbeitsaufgabe bewältigen“ wer‐
den einzelne Arbeitsschritte und das Projekt insge‐
samt bewältigt. Dabei werden mit der praktischen
Arbeit Erfahrungen gesammelt und gelernt. Der
Studierende erlernt bei der Ausübung seiner Tätig‐
keit im Praxisprojekt entsprechend der Vorgaben
der Referenzprozesse das „Handeln in Prozessen“.
Nach der Durchführung des Arbeitsschritts wird
dieser in der Phase „Auswertung“ reflektiert und
dadurch das Gelernte gesichert. In Reflexionsge‐
sprächen und bei der Dokumentation reflektiert und
dokumentiert der Studierende nicht nur die einzel‐
nen Prozessschritte, sondern bekommt auch eine
Vorstellung von dem gesamten Prozess.
x Reflexionsgespräche helfen dem Studieren‐
den, Arbeitserfahrungen in Lernerträge und Abb. 3: Unterstützung des Lernens
schließlich in Handlungskompetenz zu
Um die Studierenden inhaltlich zu unterstützen,
überführen: Der Teilnehmer beschreibt
wird parallel zum Projektstudium eine klassische
seine Arbeitsprozesse, wertet diese mit dem
Lehrveranstaltung zum jeweiligen im Semester an‐
Lernprozessbegleiter (siehe unten) aus (Was
stehenden Profil (Data Analyst, IT‐Controller, IT‐
lief gut oder schlecht? Was wurde gelernt?
Architekturdesigner) angeboten. Diese dient dazu,
Wie wurde gelernt?) und verabreden dann
das für die Projektdurchführung erforderliche Fach‐
den weiteren Verlauf des Projektstudiums
wissen zu vermitteln. Als klassische Lehrveranstal‐
und ggf. notwendige Lernschritte.
x Die Dokumentation ist eine ausführliche Be‐ tung (2 SWS Vorlesung und 2 SWS Übung) vermit‐
telt diese aber lediglich punktuelles, in die Tiefe ge‐
schreibung der konkreten Vorgehensweisen
hendes Wissen (z.B. zu bestimmten Analysetechni‐
und Lernprozesse im Praxisprojekt. Sie ist
ken), aber deckt nicht alle Tätigkeiten eines Profils
deshalb nicht mit einer technischen Doku‐
(z.B. Data Analyst) ab.
mentation oder einer Projektdokumentation
Des Weiteren stehen dem Studierenden ver‐
zu vergleichen. Durch die Dokumentation
schiedene Rollen (Personen) an der Hochschule und
lernt der Studierende, seine Arbeit zu be‐
im Unternehmen unterstützend zur Verfügung. Da‐
schreiben, auszuwerten und prozessbeglei‐
bei müssen folgende Funktionen abgedeckt sein:
tend zu kommunizieren.
x Fachberater stehen bei speziellen, fachlichen
Die Dokumentation und die Reflexionsgespräche Fragen zur Verfügung. Dies ist einerseits
sind die zentralen Mittel zur Sicherung der Arbeits‐ der Dozent der begleitenden Lehrveranstal‐
und Lernerfahrungen sowie zur Verallgemeinerung tung an der Hochschule und sind anderer‐
des in den Projekten gewonnen exemplarischen seits auch erfahrene Kollegen im Unterneh‐
Wissens. Die Anwendung des Referenzprozesses er‐ men. Zudem unterstützt der Fachberater bei
Bernd Bruegge, Stephan Krusche (Hrsg.): SEUH 2017 45
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der Auswahl der Praxisprojekte und organi‐ es entsprechende Absprachen und Verein‐
siert Ersatzleistungen, falls einzelne Tätig‐ barungen mit den Unternehmen bzw. den
keiten (Teilprozesse) nicht durchgeführt Vorgesetzten der Studierenden im Rahmen
werden können. der Zulassung zum Studium. Zudem wird
x Lernprozessbegleiter unterstützen den Lern‐ mit Beginn des Projektstudiums jedem Vor‐
prozess und führen Reflexionsgespräche gesetzten ein „Merkblatt zu lernförderli‐
durch. Von Seiten der Hochschule steht je‐ chen Rahmenbedingungen“ zugesandt, in
dem Studierenden ein „Coach“ zur Seite, dem nochmals darauf hingewiesen wird,
der seinen Arbeits‐ und Lernprozess indivi‐ dass dem Studierenden die erforderliche
duell begleitet. Im Fokus steht dabei die Zeit und Lernressourcen zur Verfügung ge‐
Vermittlung der Methodik des Projektstudi‐ stellt werden müssen ein lernförderliches
ums, die Individualisierung der Ziele und Arbeitsumfeld, Arbeitsklima und Arbeits‐
Vorgaben des Referenzprojekts sowie die prozesse gestaltet sein sollten.
Steuerung des Lernprozesses, insb. Reflexi‐ Der Studierende bleibt aber weiterhin der Verant‐
onsgespräche zur Nachbereitung der Lern‐ wortliche für sein Projektstudium.
und Arbeitsergebnisse sowie Hilfe bei der Das dargestellte Konzept erfordert eine umfang‐
Dokumentation. Um diese Rolle ausfüllen reiche technische Unterstützung für alle Beteiligten.
zu können, sind spezielle Kompetenzen im Als technische Unterstützung wird derzeit eine
Bereich der Methodik des arbeitsprozess‐in‐ Lern‐ und Kommunikationsplattform (Moodle) an‐
tegrierten Lernens, insb. der Reflexion von geboten, die folgende Komponenten zur Verfügung
Lernerträgen, erforderlich. Typischer Weise stellt:
wird diese Rolle von einem Dozenten der x Unterstützung des individuellen Lernens
Hochschule durchgeführt, der ggf. für diese (Selbststudium) durch Bereitstellung von
Rolle speziell geschult wurde. Materialien und Lerninhalten sowie unter‐
x Organisatoren sind für den reibungslosen stützenden Dokumenten (z.B. Vorlagen für
Ablauf des Projektstudiums verantwortlich. Projektskizze und Dokumentation),
Während der gesamten Dauer des Projekt‐ x Unterstützung der Kommunikation zwi‐
studiums stehen sie den Studierenden von schen den Beteiligten mit dem Ziel der Ver‐
Seiten der Hochschule als zentrale An‐ bindung von individuellem und organisati‐
sprechpartner für alle Probleme während onalem Lernen. Dafür wurde ein Diskussi‐
des Projektstudiums zur Verfügung. Dazu onsforum eingerichtet, in das die Studieren‐
gehört auch die Administration der techni‐ den ihre Fragen und Probleme einstellen.
schen Unterstützung. Auch die Kommuni‐ Sowohl die Lernprozessbegleiter als auch
kation (insb. zu und zwischen den Studie‐ die Mitstudierenden beantworten diese Fra‐
renden) muss koordiniert werden. Evtl. gen und geben unterstützende Kommen‐
werden auch Präsenzveranstaltungen orga‐ tare,
nisiert. Für diese Rolle sind keine speziellen x Unterstützung des Informationsaustau‐
Qualifikationen oder Kompetenzen erfor‐ sches durch gegenseitiges Bereitstellen der
derlich. Es sollte lediglich die Fähigkeit oder Tätigkeitsnachweise. Die Projektskizzen
Erfahrungen vorhanden sein, Lehrveran‐ und die Projektplanungen werden zunächst
staltungen zu organisieren und durchzu‐ intern durch die Lernprozessbegleiter be‐
führen. Eine zusätzliche Herausforderung gutachtet. Die nach eventuell notwendigen
zu einer traditionellen Lehrveranstaltung Änderungen entstandenen Versionen wer‐
besteht allerding in der Kommunikation mit den jedoch allen Studierenden des Projekt‐
den Unternehmen sowie einer überwiegend studiums zum gegenseitigen Informations‐
digitalen Kommunikation mit den Studie‐ austausch zur Verfügung gestellt.
renden aufgrund der geringen Präsenzzeit
an der Hochschule. Die Vereinheitlichung der gesamten Projektdurch‐
x Mit Kollegen und anderen Studierenden führung als Prozess führt somit auch zu einer besse‐
werden Probleme und Erfahrungen ausge‐ ren Austauschbarkeit von Informationen und Erfah‐
tauscht. rungen unter den Studierenden.
x Vorgesetzte schaffen lernförderliche Arbeits‐
bedingungen für den Studierenden und
eine geeignete Lernkultur in der Abteilung,
Referenzprojekt „Data Analyst“
insbesondere die Offenheit der Mitarbeiter In den Referenzprojekten werden die drei Profile
zur Weitergabe ihres Wissens. Damit auch des Projektstudiums (Data Analyst, IT‐Controller,
die notwendige Zeit und Raum für Lernpro‐ IT‐Architekturdesigner) durch ihre typischen Ar‐
zesse in den Projekten gewährleistet ist, gibt beitsprozesse und Tätigkeiten charakterisiert.
Bernd Bruegge, Stephan Krusche (Hrsg.): SEUH 2017 46
Frank Fuchs-Kittowski, Jörn Freiheit und Juliane Siegeris - Arbeitsprozess-integriertes Projekt- Studium in Unternehmen
Referenzprojekte als Curricula zu verwenden, ist
eine der Grundideen des Konzepts für das Projekt‐
studium. Zur Erstellung der Referenzprojekte bieten
sich unterschiedliche Methoden an. Während das
Referenzprojekt des „IT‐Architekturdesigners“ aus
der Analyse einer Vielzahl von Projektbeschreibun‐
gen selbst gewonnen werden musste, konnte bei
dem „Data Analyst“ und dem „IT‐Controller“ auf
bestehende Standards zurückgegriffen werden. So
basiert das Referenzprojekt für den „Data Analyst“
auf dem Praxis‐Standard „Cross Industry Standard
Process for Data Mining (CRISP‐DM)“ (Chapman et
al., 2000), der noch bezüglich zu entwickelnder
Kompetenzen sowie relevanter Tätigkeiten bzgl.
Kommunikation (Präsentieren, Diskutieren, Doku‐
mentieren etc.) erweitert werden musste. Die fol‐
gende Abb. 4 zeigt die Hauptprozesse und Teilpro‐
zesse des Referenzprojekts eines „Data Analyst“.
Die folgende Abb. 5 zeigt eine Übersicht der Kom‐
petenzen, die für das Projektstudium „Analytics“
entwickelt und nachgewiesen werden müssen. Die
Auflistung wird von oben nach unten gelesen im‐
mer spezifischer, beginnend mit Kompetenzen für
alle Projekte bis hin zu Kompetenzen, die in einzel‐
nen Prozessen des jeweiligen Profils angewendet
und entwickelt werden.
Abb. 4: Referenzprozess im Profil „Data Analyst“
Jedes Referenzprojekt enthält:
x den für das Profil charakteristischen, zu‐
sammenfassenden Referenzprozess (siehe
Abb. 4),
x die zum Referenzprozess gehörenden Teil‐
prozesse, die die Tätigkeiten ausführlich
darstellen,
x die zu den jeweiligen Prozessen gehörenden
Kompetenzfelder, die Fähigkeiten, Fertig‐
keiten, Wissen, Methoden und Werkzeuge
beinhalten,
x ein illustrierendes Beispiel. Abb. 5: Kompetenzen im Profil „Data Analyst“
Bernd Bruegge, Stephan Krusche (Hrsg.): SEUH 2017 47
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Nachweise und Prüfungen rung des Projekts und prüfen ggf. noch feh‐
lende bzw. noch nicht nachgewiesene Kom‐
Offensichtlich widersprechen klassische Prüfungen
petenzen nach.
(im Sinne von Wissensabfragen) völlig dem bei dem
vorgestellten Konzept des Projektstudiums. Trotz‐ Derzeit wird die erfolgreiche Bewältigung des Pro‐
dem muss eine Überprüfung stattfinden, um Stan‐ jektstudiums durch einen benoteten Leistungs‐
dards und Niveau sichern zu können. Schließlich schein bescheinigt. Das Ziel wird es aber sein, dass
sollen Studierenden wie Unternehmen etwas Kon‐ die erstellten Profile im Rahmen der „IT‐Spezialis‐
kretes in die Hand geben werden. ten“ anerkannt werden und eine Zertifizierung
Der Standard wird bereits durch das Referenz‐ durch eine Zertifizierungsstelle (z.B. DEKRA Certi‐
projekt vorgegeben und durch die Auswahl passen‐ fication GmbH) ermöglicht wird.
der Praxisprojekte gesichert. Das Niveau und der
Lernerfolg des Projektstudiums werden durch die Ablauf
vom Teilnehmer angefertigte Dokumentation nach‐ Die Lehrveranstaltung „Projektstudium“ läuft in
gewiesen. dem jeweiligen Semester über die gesamte Dauer
Schon während des Projektstudiums werden des Semesters (6 Monate). Die begleitende klassische
mit jedem Studierenden Reflexions‐Gespräche Lehrveranstaltung (Vorlesung & Übung) findet le‐
durchgeführt. Durch die Reflexion macht sich der diglich im Vorlesungszeitraum statt, d.h. diese en‐
Teilnehmer seine Lernerträge während der Arbeit, det mit Beginn der vorlesungsfreien Zeit (i.d.R. nach
sein Wissen und seine Fähigkeiten, aber auch beste‐ 4 Monaten).
hende Kompetenz‐Lücken klar. Es werden Heraus‐ Zwar beginnt das Projektstudium offiziell mit
forderungen und Entscheidungssituationen identifi‐ der Einführungsveranstaltung in der ersten Semes‐
ziert und erfragt, wie der Studierende diese bewäl‐ terwoche, dennoch sind die Studierenden und ihre
tigt und was er dabei gelernt hat. Vorgesetzten schon vorher informiert und aufgefor‐
Neben den Reflexions‐Gesprächen reflektiert dert worden, entsprechende Praxisprojekte zu fin‐
der Studierende seinen Lern‐ und Arbeitsprozess im den.
Rahmen der von ihm anzufertigenden Dokumenta‐ In einer Einführungsveranstaltung zu Beginn
tion. Diese ist Grundlage für die Prüfung, hat aber des Semesters werden die Studierenden durch den
darüber hinaus zusätzliche, wichtige Funktionen in‐ oder die Lernprozessbegleiter über Ziele und In‐
nerhalb der Reflexion des Lern‐Prozesses. halte des Projektstudiums informiert. Insbesondere
Die schriftliche Dokumentation besteht aus zwei stellen die Lernprozessbegleiter das didaktische
Teilen: Konzept des arbeitsprozess‐integrierten Projektstu‐
x Prozesse: Anhand der Beschreibung der Be‐ diums vor. Den Studierenden werden der Ablauf
wältigung der Prozesse des Referenzpro‐ des Projektstudiums und die erforderlichen Nach‐
jekts (durchgeführte Tätigkeiten) wird eine weise beschrieben. Das Referenzprojekt wird aus‐
Übersicht über das Praxisprojekt gegeben. führlich erläutert.
Zu jedem Teilprozess werden Herausforde‐
rung, Vorgehen und Ergebnis der Tätigkeit
sowie ggf. verwendete Methoden und ein‐
gesetzte Werkzeuge beschrieben.
x Schlüsselsituationen: Hier werden aufgetre‐
tene (i.d.R. nicht‐fachliche) besondere Situa‐
tionen im Verlauf des Projekts beschrieben.
Der Teilnehmer stellt das Problem, sein Er‐
gebnis/Lösung und sein Lernertrag dar.
Die schriftliche Dokumentation ist eine von insge‐
samt zwei Prüfungsleistungen. Die zweite Prü‐
fungsleistung ist eine mündliche Prüfung, die auch
aus zwei Teilen besteht: Abb. 6: Ablauf und Nachweise der Tätigkeiten
x Präsentation: Im Rahmen einer Präsentation
stellt der Studierende sein Projekt vor, in‐ Für das Studium des Referenzprojektes und der Su‐
dem er die wichtigsten Prozesse und Schlüs‐ che nach einem geeigneten Projekt – idealerweise im
selsituationen beschreibt, um die erworbe‐ Unternehmen – haben die Studierenden einen Mo‐
nen Kompetenzen nachzuweisen. nat Zeit. Am Ende dieser Phase reicht der Studie‐
x Fachgespräch: Im darauffolgenden Fachge‐ rende eine Projektskizze ein, die eine grobe Be‐
spräch überprüfen die Prüfer die Durchfüh‐ schreibung des Projektes, der Projektziele und des
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Frank Fuchs-Kittowski, Jörn Freiheit und Juliane Siegeris - Arbeitsprozess-integriertes Projekt- Studium in Unternehmen
organisatorischen und betrieblichen Umfeldes ent‐ der Lehrmethodik des arbeitsprozessintegrierten
hält. Eine Vorlage für die Projektskizze wird den Lernens verfügt und beim Fachgespräch durch ei‐
Studierenden am Anfang des Projektstudiums ge‐ nen „Beisitzer“ (unabhängiger Zeuge) unterstützt
stellt. Die Lernprozessbegleiter prüfen die Projekt‐ wird. Alternativ könnten die Prüfungen auch durch
skizze hinsichtlich Abdeckung der im Referenzpro‐ zwei Prüfer gemeinsam durchgeführt werden, wo‐
jekt vorgegebenen Prozesse. Daraufhin genehmigen bei einer die Fachlichkeit und der andere die pro‐
sie das Projekt oder fordern Nachbesserungen bzw. zessorientierte Methodik abzudecken hätte. Inso‐
Änderungen an. fern kann auch ein Fachberater an einer Prüfung be‐
Ist das Projekt genehmigt, beginnt die Projekt‐ teiligt werden oder eine Prüfung selbständig durch‐
planungsphase. Die Studierenden können sich für führen, wenn er auch die Methodik‐Seite abdecken
die Planung am Referenzprozess orientieren und kann. Vorgesetzte werden an den Prüfungen nicht
definieren in Anlehnung an die Hauptprozesse des direkt beteiligt. Sie haben aber eine wichtige Funk‐
Referenzprozesses ihre Meilensteine und deren zeit‐ tion im Vorfeld, da sie in der Dokumentation ab‐
liche Planung. Auch für die Projektplanung stellen zeichnen sollen, ob die angegebenen Projekte bzw.
die Lernprozessbegleiter den Studierenden am An‐ Prozessschritte tatsächlich durchgeführt wurden.
fang eine Dokumentationsvorlage. Ebenso sollen die Lernprozessbegleiter die durchge‐
Nachdem die Planung durch die Lernprozessbe‐ führten Reflexionsgespräche und besprochenen
gleiter freigegeben wurde, beginnt (formal) die ei‐ Schlüsselsituationen durch Unterschrift bestätigen.
gentliche Durchführung des Projektes durch die
Studierenden. Dabei reflektieren die Studierenden
kontinuierlich ihre Lern‐ und Arbeitsprozesse im
Rahmen der von ihnen anzufertigenden Dokumen‐ Zusammenfassung und Ausblick
tation. D.h. idealerweise wird die Dokumentation In diesem Beitrag wurde das Konzept für das Pro‐
nicht am Ende des Projekts, sondern kontinuierlich jektstudium in einem berufsbegleitenden IT‐Master‐
mit der Bewältigung jedes einzelnen Prozessschrit‐ Studiengang vorgestellt. Ziel des Projektstudiums
tes erstellt. ist der Erwerb und die Förderung beruflicher Hand‐
Über ihre Erfahrungen berichten die Studieren‐ lungskompetenz. Das integrierte Arbeiten und Ler‐
den in einer Zwischenpräsentation und in einem Re‐ nen erfolgt (Leitlinien): in realen Projekten, selbst ge‐
flexionsgespräch, welches ca. 2,5 Monate nach Se‐ steuert, zugleich aber mit personeller und techni‐
mesterbeginn stattfindet. Auf diese Weise sollen scher Unterstützung und reflektiert.
Probleme im Lern‐ und Arbeitsprozess frühzeitig Ein Studierender im Projektstudium lernt dabei
identifiziert und gelöst werden, aber vor allem soll im Arbeitsprozess, in realen Projekten (Praxispro‐
sich der Studierende seiner Fähigkeiten aber auch jekt) in (seinem) Unternehmen. Das Lernen in der
seiner Wissenslücken bewusstwerden. Arbeit gestaltet der Studierende dabei selbst, wird
Danach wird die Dokumentation wird kontinu‐ aber umfassend personell und technisch unterstützt.
ierlich fortgeführt. Mit Abschluss der Dokumenta‐ Ein prozess‐orientiertes Curricula, sog. Referenz‐
tion ist diese als Grundlage für die Prüfung einzu‐ projekte, strukturiert das Projektstudium. Es dient
reichen (ca. nach 5,5 Monaten). Die Dokumentation der Auswahl des Praxisprojekts, der Planung der
wird von den Prüfern hinsichtlich der erfolgreich Arbeits‐ und Lernprozesse und schließlich auch
bewältigten Prozesse des Referenzprojekts und der dem Nachweis des erfolgreichen Projektstudiums.
zu erwerbenden Kompetenzen (hier fließen auch die Alle Prozesse des Referenzprojekts müssen nach‐
Schlüsselsituationen mit ein) bewertet. Wird die Do‐ weislich beherrscht werden, indem sie bewältigt
kumentation positiv bewertet (80% der Prozesse er‐ und dabei reflektiert und dokumentiert werden.
folgreich bewältigt & 80% der Kompetenzen nach‐ Referenzprojekte als Curricula zu verwenden,
gewiesen), erfolgt die Zulassung zur mündlichen ist eine der Grundideen des Konzepts für das Pro‐
Prüfung. jektstudium. Die prozessorientierte Strukturierung
Im Rahmen der mündlichen Prüfung präsentiert bietet große Vorteile: Da die Prozesse relativ dauer‐
der Studierende zunächst sein Projekt hinsichtlich haft sind, ziehen sie sich wie ein roter Faden durch
der wichtigsten Prozesse und Schlüsselsituationen den dynamischen technischen und technologischen
und der dabei erworbenen Kompetenzen. Im zwei‐ Wandel. Weil die Referenz‐ und die Teilprozesse re‐
ten Teil werden in einem Fachgespräch die Darstel‐ lativ abstrakt modelliert und die Kompetenzen auf
lungen der Dokumentation und der Präsentation der Metaebene formuliert sind, sind vielfältige Aus‐
überprüft und ggf. noch fehlende Kompetenzen gestaltungen in der beruflichen und unternehmeri‐
nachgefragt. schen Realität möglich. Für das Projektstudium las‐
Derzeit und idealerweise werden die Prüfungen sen sich so mit Hilfe der Referenzprozesse reale Pro‐
(Dokumentationsprüfung und Fachgespräch) von jekte identifizieren, die trotz ihrer individuellen
einem Prüfer durchgeführt, der sowohl über die Ausprägung vergleichbare Anforderungen enthal‐
fachliche Kompetenz des jeweiligen Profils als auch ten.
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Frank Fuchs-Kittowski, Jörn Freiheit und Juliane Siegeris - Arbeitsprozess-integriertes Projekt- Studium in Unternehmen
Den Studierenden wird eine einheitliche Heran‐ Kleuker, S.; Thiesing, F.M. (2011): Vier Jahre Soft‐
gehensweise an Projekte vermittelt, die technolo‐ ware‐Engineering‐Projekte im Bachelor – ein
gisch und organisatorisch sehr unterschiedlich sein Statusbericht. In: Ludewig, J.; Böttcher, A.
können. Dies führt einerseits zu einer besseren Aus‐ (Hrsg.): Tagungsband des 12. Workshops „Soft‐
tauschbarkeit der Informationen und Erfahrungen ware Engineering im Unterricht der Hochschu‐
der Studierenden untereinander. Andererseits wird len“, Vol. 695, S. 40‐44, http://ceur‐ws.org/Vol‐
den Studierenden ein Handlungsrahmen für die Re‐ 695/beitrag8‐kleuker‐thiesing.pdf.
flexion der eigenen Tätigkeiten geboten, der die För‐
derung vielfältiger Kompetenzen unterstützt. Nicht Kruse, E. (2009): Projektstudium und Praxisbezüge
zuletzt ermöglicht die prozessorientierte Strukturie‐ im Bologna‐Prozess ‐ Reform der Reform?. In:
rung eine objektivere Bewertbarkeit der Projekte bis Sozial Extra, Januar 2009, Vol. 33, Nr. 1, S. 42–47.
hin zur Zertifizierung durch entsprechende Zertifi‐ Lewerentz, C., Rust, H. (2001): Die Rolle der Refle‐
zierungsstellen. xion in Softwarepraktika. In: 7. SEUH‐Work‐
shop, www.seuh.org/SEUH7_2001/09_Lewer‐
Literatur entz.pdf.
Chapman, P.; Clinton, J.; Kerber, R.; Khabaza, T.; Liebehenschel, J. (2013): Software‐Engineering Pro‐
Reinartz, T.; Shearer, C.; Wirth, R. (2000): jekte in der Ausbildung an Hochschulen ‐ Kon‐
CRSIPDM 1.0 ‐ Step‐by‐step data mining guide. zept, Erfahrungen und Ideen. In: 13. Workshop
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„Berliner Institut für Akademische Weiterbil‐ ws.org/Vol‐956/S1_Paper3.pdf.
dung der HTW Berlin“ (Berlin Institute for Ad‐ Mattauch, W.; Caumans, J. (Hrsg.) (2003): Innovati‐
vanced Higher Education at HTW Berlin) der onen der IT‐Weiterbildung. Bielefeld: W.‐Ber‐
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. telsmann Verlag.
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Bernd Bruegge, Stephan Krusche (Hrsg.): SEUH 2017 50