Konsistente Parametrisierung von Flächen vom Geschlecht 1 zur Bildung eines statistischen Formmodells des Wirbels Meike Becker1 , Matthias Kirschner1 , Stefan Wesarg1 1 Graphisch-Interaktive Systeme, TU Darmstadt meike.becker@gris.tu-darmstadt.de Kurzfassung. Für die Segmentierung komplexer Strukturen wie bei- spielsweise Wirbel werden häufig statistische Formmodelle (SFM) ver- wendet. Bei der Konstruktion des SFM stellt die Lösung des Korrespon- denzproblems eine der größten Herausforderungen dar. In dieser Arbeit präsentieren wir einen neuen automatischen Ansatz für die Initiallösung des Korrespondenzproblems für Flächen vom Geschlecht 1. Dazu schnei- den wir eine Referenzfläche der Trainingsmenge entlang zweier möglichst kurzer Schleifen auf und propagieren diese auf die übrigen Flächen der Trainingsmenge. Anschließend bilden wir jede Fläche auf den Parame- terraum des Rechtecks ab, wo wir die entstehende Flächenverzerrung mit einem heuristischen Ansatz verringern. Damit können wir SFM mit erhöhter Qualität konstruieren. 1 Einleitung Die exakte Segmentierung der Wirbelsäule ist für eine Reihe von klinischen An- wendungen wichtig. Dazu gehören z.B. die Platzierung von Schrauben zur Sta- bilisierung der Wirbelsäule, die Behandlung von Brüchen oder komplizierten Bandscheibenvorfällen. Bei der Betrachtung abdominaler Strukturen wird die Wirbelsäule auch als Referenzstruktur segmentiert. Bei der Wirbelsegmentie- rung liegen oft unscharfe Objektgrenzen vor, ähnliche Strukturen befinden sich in direkter Nachbarschaft und die Wirbel selbst sind komplexe Objekte [1]. Da- her integriert man häufig Vorwissen über die Form und verwendet statistische Formmodelle (SFM) [2] für die Segmentierung. Ein SFM enthält Information über die Abweichungen der Form einer Fläche von ihrem Mittelwert. Das Mo- dell wird anhand einer Menge von Trainingsflächen gelernt, die durch eine fe- ste Anzahl Punkte dargestellt werden. Des Weiteren müssen Punkte mit dem gleichen Index miteinander korrespondieren, das heißt das gleiche anatomische Merkmal repräsentieren. Die Lösung dieses Korrespondenzproblems ist eine der größten Herausforderungen bei der Konstruktion des SFM. Da einfache Metho- den wie Iterative-Closest-Point auf Grund der z. T. unterschiedlichen relativen Lage korrespondierender Punkte zu ungenügenden Ergebnissen führen, wird das Korrespondenzproblem in der Regel durch Parametrisierung gelöst (z.B. Davies et al. [3], Heimann et al. [4]). Dabei werden die Flächen auf einen einfacheren Konsistente Parametrisierung für statistische Formmodelle 75 Parameterraum abgebildet, wo die Korrespondenzen durch Optimierung einer geeigneten Zielfunktion bestimmt werden. Diese Arbeiten beschränken sich je- doch auf geschlossene Flächen vom Geschlecht 0, wie z.B. Leber oder Niere. Das Geschlecht beschreibt anschaulich gesprochen die Anzahl der Löcher einer Flä- che. Ein vom Geschlecht unabhängiger Ansatz wurde von Lamecker et al. [5] entwickelt. Sie zerteilen das Organ in einzelne Patches und parametrisieren diese auf eine Kreisscheibe. Zur Bestimmung der Schnittlinien müssen jedoch eini- ge Punkte manuell vorgegeben werden und an den Schnittstellen kommt es zu Diskontinuitäten. Klinder et al. [1] haben einen automatischen modellbasierten Ansatz zur Detektion, Identifizierung und Segmentierung explizit für Wirbel ent- wickelt. Zur Bestimmung der Korrespondenzen verwenden sie den Ansatz von Lorenz und Krahnstöver [6], die im Gegensatz zu [3] und [4] die Korresponden- zen mittels eines Templates bestimmen und einige Landmarken manuell setzen müssen. In dieser Arbeit präsentieren wir einen automatischen Ansatz zur konsisten- ten Lösung des Korrespondenzproblems für Flächen vom Geschlecht 1, wie z.B. ein Torus oder ein Wirbel. 2 Material und Methoden Der in dieser Arbeit vorgestellte Algorithmus besteht aus folgenden Schritten. Zunächst bestimmen wir auf jedem Wirbel zwei Schleifen, entlang derer wir die Form aufschneiden. Anschließend bilden wir sie auf den Parameterraum des Rechtecks ab, wo wir in einem dritten Schritt die entstehende Flächenverzerrung verringern. Damit können wir ein SFM mit erhöhter Qualität konstruieren. 2.1 Bestimmung der Schnittschleifen Bei der Bestimmung der Schnittschleifen ist es wichtig, dass wir konsistente Schleifen finden, die auf jeder Form der Trainingsmenge ungefähr entlang des- selben Weges verlaufen. Daher wählen wir zunächst einen Referenzwirbel vRef aus der Trainingsmenge S = {vi : i = 1, ..., s}, s ∈ N, deren Elemente durch Dreiecksnetze dargestellt werden. Auf dem Dreiecksnetz des Referenzwirbels be- stimmen wir mit Hilfe des Algorithmus von Erickson und Whittlesey [7] die in Summe kürzesten zwei Referenzschleifen mit gemeinsamem Basispunkt. Aus der Topologie ist bekannt, dass zwei Schnittschleifen nötig sind, um einen Torus oder Wirbel auf ein Rechteck abzubilden. Anschließend propagieren wir diese Referenzschleifen auf die übrigen Trainingswirbel wie folgt: Beginnend am Ba- sispunkt wählen wir b Stützpunkte (b ∈ N) auf jeder Referenzschleife in Abhän- gigkeit von der Schleifenlänge und bestimmen für jeden Stützpunkt mittels des Iterative-Closest-Point-Algorithmus den nächsten Nachbarn auf jedem Wirbel der Trainingsmenge. Die Schleife eines Wirbels wird durch Aneinanderhängen der kürzesten Pfade zwischen den propagierten Stützpunkten bestimmt. 76 Becker et al. 2.2 Abbildung auf den Parameterraum. Schneiden wir die Form entlang der Schnittschleifen auf, so erhalten wir eine Fläche, die homöomorph zu einem Rechteck ist. Daher ist es uns möglich mit Tuttes Graph-Einbettungs-Methode [8] die Fläche auf das Rechteck abzubilden. Zur Abbildung des Randes bilden wir jede Schleife auf eine Seite des Rechtecks ab und eine duplizierte Version auf die gegenüberliegende Seite. Die gegenüber- liegenden Seiten werden miteinander identifiziert (Abb. 1). 2.3 Verringerung der Verzerrung Bei der Abbildung auf den Parameterraum entsteht zwangsläufig Verzerrung. Da wir am Ende unsere Wirbel durch uniformes Sampling rekonstruieren wollen, ver- wenden wir hier eine einfache heuristische Methode, um die Flächenverzerrung zu verringern. Die Grundidee stammt vom Histogrammausgleich aus der Bild- verarbeitung: Wir nehmen zunächst an, dass unser Dreiecksnetz ungefähr gleich große Dreiecke enthält. Wir betrachten die Schwerpunkte (xj , yj ), j = 1, ..., p, der Dreiecke und sortieren sie aufsteigend nach ihrem x-Wert. Dann wenden wir die folgende Transformation an Tx : {(x1 , y1 ), ..., (xp , yp )} −→ R × R (1) ( ) xp ∑ j (xj , yj ) 7−→ (k − 1), yj für j = 1, ..., p (2) p−1 k=1 wobei p die Anzahl der Samplepunkte bezeichnet. Für die y-Werte gehen wir analog vor. Abschließend rekonstruieren wir die Wirbel. Dazu legen wir ein regelmäßiges Dreiecksgitter auf den Parameterraum und bestimmen die Werte auf der 3D- Fläche durch Interpolation. Mit diesen rekonstruierten Wirbeln können wir nun ein SFM konstruieren. Abb. 1. Abbildung der Schleifen auf den Parameterraum. Konsistente Parametrisierung für statistische Formmodelle 77 3 Ergebnisse Als Trainingsmengen haben wir zwei manuell segmentierte CT-Datensätze (9 Thoraxwirbel bzw. 14 Lendenwirbel) verwendet. Der Remeshing-Algorithmus von Fuhrmann et al. [9] stellt sicher, dass die Annahme ungefähr gleich großer Dreiecke erfüllt ist. Wir haben jeden Wirbel der jeweiligen Trainingsmenge als Referenzwirbel getestet und das zugehörige statistische Formmodell konstruiert, welches unabhängig von der Wahl des Referenzwirbels plausible Formvariationen enthält. Dabei haben wir einmal die Flächen nur mit Tuttes Graph-Einbettungs- Methode parametrisiert und einmal zusätzlich die in Kapitel 2 erläuterte Ver- ringerung der Flächenverzerrung verwendet. Wie in Abb. 2 zu erkennen, wird der Wirbel im zweiten Fall besser rekonstruiert vor allem in Bereichen hoher Krümmung. Bei den Modellen lässt sich beobachten, dass mit Verringerung der Verzerrung das Modell plausiblere Formen enthält. Ein statistisches Formmo- dell des Lendenwirbels mit Verringerung der Flächenverzerrung ist in Abb. 3 dargestellt. 4 Diskussion In dieser Arbeit haben wir einen automatischen Ansatz zur konsistenten Lö- sung des Korrespondenzproblems für Flächen vom Geschlecht 1 präsentiert. Der wesentliche Fortschritt hierbei ist, dass wir Flächen vom Geschlecht 1 behan- deln und dabei im Gegensatz zu [5] zum einen die Diskontinuitäten bei der Bestimmung der Schnittschleifen gering halten und zum anderen automatisiert vorgehen. Ferner haben wir eine Heuristik präsentiert, welche die Flächenver- zerrung auf dem Parameterraum erfolgreich verringert. Die Experimente zeigen, Abb. 2. Vergleich zweier Rekonstruktionen des Lendenwirbels aus Abb. 1. Links ist das Ergebnis mit Tuttes Graph-Einbettungsmethode zu sehen und rechts mit Ver- ringerung der Flächenverzerrung. Man erkennt, dass der rechte Wirbel vor allem in Bereichen hoher Krümmung die ursprüngliche Form besser repräsentiert. 78 Becker et al. Abb. 3. Modell des Lendenwirbels mit Verbesserung der Flächenverzerrung. In der Mitte befindet√sich das Durchschnittsmodell. Links ist √ jeweils die Form für den Form- parameter −2 λi und rechts für den Formparameter 2 λi für die zwei größten Eigen- werte λi , i = 1, 2, abgebildet. dass dadurch die Qualität des resultierenden SFM erhöht wird. Eine quantitative Evaluation steht noch aus. In Zukunft wollen wir die Verbesserung des Modells weiter untersuchen und prüfen, ob z.B. durch Optimierung der Minimum Des- cription Length [3] die Qualität des Modells noch erhöht werden kann. Literaturverzeichnis 1. Klinder T, Ostermann J, Ehm M. Automated model-based vertebra detection, identification, and segmentation in CT images. Med Image Anal. 2009;13(3):471– 82. 2. Cootes TF, Taylor CJ, Cooper DH, et al. Active shape models-their training and application. Comput Vis Image Underst. 1995;61(1):38–59. 3. Davies RH, Twining CJ, Cootes TF, et al. Building 3D statistical shape models by direct optimization. IEEE Trans Med Imaging. 2010;29(4):961–81. 4. Heimann T, Wolf I, Williams TG, et al. 3D active shape models using gradient descent optimization of description length. Lect Notes Computer Sci. 2005; p. 566– 77. 5. Lamecker H, Lange T, Seebass M. A statistical shape model for the liver. Lect Notes Computer Sci. 2002; p. 422–27. 6. Lorenz C, Krahnstoever N. Generation of point-based 3D statistical shape models for anatomical objects. Comput Vis Image Underst. 2000;77:175–91. 7. Erickson J, Whittlesey K. Greedy optimal homotopy and homology generators. In: Proc of SODA. Society for Industrial and Applied Mathematics; 2005. p. 1038–46. 8. Tutte WT. How to draw a graph. Proc London Math Soc. 1963;13:743–68. 9. Fuhrmann S, Ackermann J, Kalbe T, et al. Direct resampling for isotropic surface remeshing. In: Proc VMV. Eurographics; 2010. p. 9–16.