Numerische Simulation des Blutflusses an insuffizienten Mitralklappen Simon J. Sonntag Research Development, TomTec Imaging Systems Unterschleißheim simon.sonntag@googlemail.com Kurzfassung. Mittels Computational Fluid Dynamics (CFD) wurden quantitative Strömungssimulationen bei Mitralklappeninsuffizienzen er- stellt. Die individuelle Geometrie des menschlichen valvulären Apparats wurde dabei volumetrischen Bilddaten entnommen. Das resultierende dynamische 3D-Flussfeld wurde als Basis für eine nachfolgende Farb- Doppler-Simulation verwendet. Dadurch lässt sich der Einfluss der ver- schiedenen Bildgebungsparameter auf die diagnostisch verfügbare Dar- stellung von Regurgitationsjet, Vena contracta oder proximaler Konver- genzzone detailliert untersuchen. Beispielhaft wird der Einfluss der räum- lichen Auflösung auf die Jet-Darstellung gezeigt. 1 Einleitung Herzklappeninsuffizienzen sind eine der häufigsten kardiovaskulären Erkrankun- gen und treten als Begleiterscheinung bei fast allen Herzerkrankungen auf. Be- sonders betroffen ist dabei die Mitralklappe mit einer Prävalenz von 19 % in der Bevölkerung. Damit ergibt sich eine große klinische und volkswirtschaftliche Relevanz dieser Erkrankung. Eine genaue Schweregradbestimmung ist für eine optimale Planung der chirurgischen Therapie erforderlich, um Folgeschäden und -kosten gering zu halten [1]. Die Farb-Doppler-Echokardiographie ist im klinischen Alltag das Standard- verfahren zur Feststellung des Schweregrades einer Insuffizienz. Die in der Praxis am häufigsten eingesetzten echokardiographischen Verfahren sind die Jetlängen- und Jetflächen-Methode, die Bestimmung der proximalen Jetbreite (Vena con- tracta) sowie die PISA-Methode. Die Beurteilung ist, wie allgemein bekannt, jedoch stark limitiert, sehr untersucherabhängig und schlecht reproduzierbar. Deswegen ist die Kenntnis der generellen Anwendbarkeit und Zuverlässigkeit der Verfahren sowie des Verhaltens bei verschiedenen Einflüssen und Bedingungen wichtig. Bisherige in-vitro Vergleichsmethoden, wie die Testung an Flussphan- tomen [2] oder die angiographische Schweregradeinteilung [3], erlauben zwar die Bestimmung des Regurgitationsflusses, aber durch die Limitationen der physi- kalischen Messmethode keine realitätsgetreue Abbildung des räumlichen Strö- mungsfeldes. Das Ziel dieser Arbeit ist es, eine komplett neue Herangehensweise zur Eva- luation der echokardiographischen Beurteilung zu entwickeln. Die Idee besteht 300 Sonntag darin, das Ergebnis einer numerischen Strömungsberechnung des regurgitieren- den Blutes als Grundlage für eine Farb-Doppler-Simulation zu nehmen und da- mit die echokardiographischen Methoden zu evaluieren. Konkret heißt das, dass zunächst das Geschwindigkeits- und Druckverhalten der Flüssigkeit mit Mitteln der CFD-Simulation berechnet wird, um anschließend das ermittelte Geschwin- digkeitsfeld entsprechend einer Farb-Doppler-Echokardiographie abzutasten und schließlich auszuwerten. Dieser Ansatz verspricht eine Vielzahl von Vorteilen ge- genüber den bisherigen Methoden. 2 Material und Methoden Zur Erstellung eines realistischen Modells des linken Herzens diente eine MRT- Aufnahme (mehrere Lang- und Kurzachsenschnitte) eines gesunden Probanden als Grundlage. Zwar kann an dieser Stelle eine individuelle patientenspezifische Regurgitationsöffnung verwendet werden, aber für einen quantitativen Vergleich mit in-vitro Literaturdaten [2, 4] wurden hier zunächst kreisrunde Lochblen- den der Durchmesser 2 mm, 4 mm und 8 mm für die drei Schweregrade der Mitralinsuffizienz leicht (I), mittelschwer (II) und schwer (III) modelliert. Für die unstrukturierte Vernetzung der Geometrien mit Tetraederelementen wurde der freie Netzgenerator NETGEN verwendet. Die erzeugten Rechennetze be- standen aus knapp 0.7 Millionen Zellen und wurden im Bereich der proximalen Konvergenzzone und des Jets lokal verfeinert. Das Blut wurde als eine homo- gene, inkompressible Newtonsche Flüssigkeit modelliert. Zur Diskretisierung der zugrundeliegenden instationären, dreidimensionalen Navier-Stokes-Gleichungen wurde die Finite-Volumen-Methode benutzt. Die CFD-Berechnungen wurden mit dem Open Source Programmpaket OpenFOAM durchgeführt. Dabei erfolg- te die räumliche Diskretisierung mit dem Zentraldifferenzenverfahren zweiter Ordnung. Die zeitlichen Ableitungen wurden mit der Three-Point-Backward- Methode approximiert. Zur Druckkorrektur wurden zwei PISO-Schleifen (Pres- sure Implicit with Splitting of Operators) verwendet. Die Large-Eddy-Simulation (LES) mit dem lokal dynamischen Ein-Gleichungsmodell von [5] hat sich als das optimale Verfahren erwiesen, um den laminar-turbulenten Umschlag der Strö- mung korrekt vorauszusagen. Die einzelnen Prozesse zur Strömungssimulation werden in Abb. 1 aufgezeigt. Ċį Ċ mÿᾋ ĝO-ŏªPPęm¾ LV lm¾m˥~ʧÿ˥ ĉ´Ùªm˥lm¾m˥~ʧÿ˥ LA Ùªmÿžĉŏ´įªęŏž īO-}ÿžOÅÙÙªmÿžĉŏ´įªęŏž ĝO-ŠmÅ´męÿŏmmÅPmªª }ªįŏPmÅPmªª þ¾PmPŏ¾‹į¾‹m¾ LV }ÿžOÅÙ ĉ´Ùªm˥ LA Ķmÿ¾męŅᾋ ĝO-0}Ožmÿm1–¾į¾‹ ĶŏĊįªŏĊŏmÿᾋ Ķŏ ªŏ ŏ ½lƊl½ ÄÙm¾}ij ØÿĶŏmļ Abb. 1. Prozesse und verwendete Software zur Strömungssimulation des Blutflusses. Numerische Simulation des Blutflusses 301 Zur Simulation von 2D-Farb-Doppler-Bildern aus den Ergebnissen der nu- merischen Strömungssimulationen wurde das berechnete dreidimensionale Ge- schwindigkeitsfeld zunächst in einer Ebene entsprechend einer gepulsten Dopp- ler-Echokardiographie abgetastet. Dazu wurden die Scanlinien radial vom Schall- kopf in unterschiedliche Richtungen ausgesendet und das Geschwindigkeitsfeld entlang jeder Scanlinie an 450 äquidistant verteilten Messpunkten abgetastet (Abb. 3a). Dabei wurden die Geschwindigkeiten der Fluidteilchen an jedem Mes- spunkt aus den Werten benachbarter Zellzentren linear interpoliert. Die Positi- on des virtuellen Schallkopfes wurde hier apikal in einer Distanz von etwa 10 cm zur Klappenöffnung gewählt. Um aus den damit erhaltenen Daten Farb- Doppler-Bilder zu erzeugen, wurde in MATLAB ein Programm implementiert. Eine grafische Benutzeroberfläche ermöglicht die Nyquist-Grenze und die Base- Line dynamisch zu variieren. Das Ergebnis der Farb-Doppler-Simulation zeigt Abbildung 3b. 3 Ergebnisse Es wurden Abtastungen mit 28 (3D-Schallkopf in einer Ebene), 60 und 120 (2D- Schallkopf) Scanlinien durchgeführt (Abb. 2). Die benötigten Abmessungen und Verhältnisse wurden, wie im klinischen Alltag, per Hand aus den simulierten Farb-Doppler-Bildern ermittelt. Zum Vergleich der Ergebnisse mit den empfoh- lenen funktionellen Einteilungskriterien sei auf Standardliteratur verwiesen. Es zeigt sich, dass der Jet bei einer niedrigeren räumlichen Auflösung nicht nur ungenauer, sondern auch breiter dargestellt wird. So ist die Jetfläche bei einer Strahlen 28 60 120 1/3 Grad I 2/3 3/3 Jet-Länge 0.53 LA 0.52 LA 0.51 LA Jet-Fläche 0.17 LA 0.09 LA 0.07 LA prox. Jetbreite 8.1 mm 3.4 mm 2.2 mm 1/3 Grad II 2/3 3/3 Jet-Länge 0.78 LA 0.78 LA 0.79 LA Jet-Fläche 0.33 LA 0.25 LA 0.23 LA prox. Jetbreite 6.4 mm 4.2 mm 4.0 mm Abb. 2. Ergebnisse der echokardiographischen Messungen für verschiedene räumliche Auflösungen; (LA = linkes Atrium). 302 Sonntag Abtastung mit einem 3D-Schallkopf in Relation zur Vorhoffläche in beiden Fäl- len wesentlich größer als mit einem 2D-Schallkopf. Bedingt durch die Geometrie der Segel findet die maximale Kontraktion beim Modell I. Grades innerhalb des Klappenlecks statt und sollte auch an dieser Stelle gemessen werden. Aufgrund der mangelnden räumlichen Auflösung wird die Regurgitationsströmung in die- sem Bereich bei 60 Scanlinien allerdings nicht richtig abgetastet (Abb. 4a). Die Vena contracta würde im Farb-Doppler-Bild durch den Arzt distal der Öffnung (Pfeile in Abb. 4a) abgelesen werden, dort wo sich der Jet bereits ausgebreitet hat, und so mit 3.4 mm deutlich überschätzt werden. Bei 120 Scanlinien wird die Vena contracta wesentlich besser abgebildet und kann mit 2.2 mm fast korrekt gemessen werden (Abb. 4b). Die Darstellung der Vena contracta hängt also stark von der räumlichen Auflösung des Farb-Dopplers ab. Wenn die Insuffizienz signi- fikant ist, Grad II, liegt ein größerer Abtastbereich im Umfeld der Vena contracta vor und die proximale Jetbreite kann auch mit einer niedrigeren Auflösung von 60 Scanlinien relativ genau abgelesen werden. Mit einem 3D-Schallkopf ist eine zuverlässige Messung in diesem Fall jedoch auch unmöglich. 4 Diskussion Da die Strömungsergebnisse sowohl qualitativ als auch quantitativ exakt ausge- wertet und analysiert werden können, ist ein direkter Vergleich mit den Ergebnis- sen der Farb-Doppler-Simulation möglich. Im Gegensatz zu bisherigen Validie- rungsverfahren liegen also hochgenaue und reproduzierbare Referenzdaten vor. So kann der Einfluss verschiedener biologischer Faktoren, wie z.B. der trans- mitralen Druckdifferenz, auf die Darstellung des Regurgitationsjets, der Vena contracta und der proximalen Konvergenzzone genau untersucht werden. Au- ßerdem lassen sich mithilfe der Farb-Doppler-Simulation technische Bedingun- gen und Geräteeinstellungen evaluieren. Dabei ist eine Darstellung des Jets im a) Schallkopf b) 70 -70 cm/s Abb. 3. In (a) ist die Abtastung des Geschwindigkeitsfeldes des Modells II. Grades mit 60 Scanlinien zu je 450 Abtastpunkten bei einem Öffnungswinkel von 60◦ dargestellt. Das Ergebnis der Farb-Doppler-Simulation ist in (b) zu sehen. Numerische Simulation des Blutflusses 303 a) Abb. 4. Links ist die Abtastung bei einer leichten Insuffizienz dargestellt, wobei in (a) mit 60 Scanlinien und in (b) mit 120 Scanlinien abgetas- tet wurde. Rechts sind die Ergebnis- se der entsprechenden Farb-Doppler- Simulationen abgebildet. Die Pfeile b) zeigen an, wo die Vena contracta ge- messen wird. Farb-Doppler ohne Aliasing und die Analyse für verschiedene Winkelabweichun- gen möglich. Beispielhaft wurde in dieser Arbeit das Verhalten für verschiedene Schallköpfe mit unterschiedlichen räumlichen Auflösungen bei gleicher Moment- aufnahmen der Strömung gezeigt (Abb. 2), was mit einer herkömmlichen, expe- rimentellen Auswertung nicht machbar ist. Neben einem einfachen Modell des Klappenlecks können auch komplexe, pa- tientenspezifische Geometrien mit z.B. wandadhärenten Strömungen ohne einen invasiven Eingriff oder jegliches Risiko für den Patienten untersucht werden. Dar- über hinaus lassen sich neben den echokardiographischen Methoden dieser Studie auch andere Verfahren untersuchen, was auch bei der Entwicklung neuer Diagno- semethoden hilfreich sein könnte. Außerdem können durch die dreidimensionale Datenauswertung der Strömungssimulationen neue Einblicke und Vorstellungen über das Strömungsverhalten des regurgitierenden Blutes gegeben werden. Nach bestem Wissen des Autors ist dies dabei der erste Versuch, die Strömung durch eine insuffiziente Mitralklappe mithilfe der LES-Methode mit einem dynami- schen Modell zu simulieren. Zwar kann die Korrektheit der 3D-CFD-Simulation mangels hinreichend genauer physikalischer Messverfahren nicht nachgewiesen werden, allerdings entsprechen die ermittelten Werte für Durchfluss, Geschwin- digkeit und Durchmesser der Vena contracta dem Stand der Literatur [2, 4]. Literaturverzeichnis 1. Buck T, Plicht B, Wenzel R, et al. Echokardiographische Flussquantifizierung zur Schweregradbestimmung von Klappeninsuffizienzen. Herz. 2002;27:254–68. 2. Buck T, Mucci R, Guerrero J, et al. The power-velocity integral at the vena con- tracta. Circulation. 2000;102:1053–61. 3. Schwammenthal E, Chen C, Benning F, et al. Dynamics of mitral regurgitant flow and orifice area. Circulation. 1994;90:307–22. 4. Brucker A, et al. Durchflussmesstechnik. München: Oldenbourg; 2008. 5. Menon S, Kim W. Application of the localized dynamic subgrid-scale model to turbulent wall-bounded flows. In: Proc AIAA Aerospace Sciences Meeting; 1997. p. 210.