Entwicklung eines quantitativen Auswertungssystems zur Evaluierung von Inhalationsmethoden Ljudmila Mursina1 , Johannes T. Heverhagen2 , Damiano Librizzi3 , Andreas Pfestroff3 , Martin Fiebich1 1 Institut für Medizinische Physik und Strahlenschutz, FH Gießen-Friedberg 2 Klinik für Strahlendiagnostik, Universitätsklinikum Gießen und Marburg 3 Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg ljudmila.mursina@mni.fh-giessen.de Kurzfassung. Der Behandlung von Patienten mit obstruktiven Atem- wegserkrankungen wie z.B. Asthma bronchiale oder COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) steht die Inhalationstherapie im Vor- dergrund. Bei der Entwicklung neuer Inhalationstherapie ist es wich- tig, die Wirksamkeit bezüglich der Deposition von inhalierten Wirk- stoffpartikeln in den Atemwegsabschnitten innerhalb und außerhalb der Lunge zu prüfen. Zu diesem Zweck wurde vor Beginn einer klinischen Studie zur Evaluation einer neuen Inhalationsmethode ein quantitati- ves Auswertungssystem entwickelt. Es wurden retrospektiv die Routine- Untersuchungsdaten von 15 Patienten für Implementierungs- und Test- zwecke herangezogen. Die Daten beinhalten Aufnahmen des Atmungs- systems, das mittels Molekularer Bildgebung mit Hilfe von Radionuk- liden zweidimensional erfasst wurde. Die Verfahren zum Nachweis der Deposition der Medikamente in den oberen Atemwegen, der Lunge sowie im Magenbereich und zur Depositionsmengen-Berechnung im intratho- rakalen und extrathorakalen Bereich wurden implementiert. Es konnten Informationen über die Regionalverteilung des inhalierten Präparats in- nerhalb der Lunge gewonnen und als prozentualer Anteil an der Gesamt- menge des Präparats ausgedrückt werden. 1 Einleitung Da nach Prognosen von Epidemiologen bis zum Jahre 2020 die Häufigkeit von Lungenerkrankungen zunehmen und eine der häufigsten Todesursachen werden wird, bedarf es neuer effizienter Therapiemethoden für Patienten mit Lungen- funktionsstörungen. Der Bestimmungsort von Medikamenten, die bei der Be- handlung von Lungenfunktionsstörungen angewendet werden, ist der periphere Bereich (Alveolarbereich) der Lunge. Die Molekulare Bildgebung wird dabei zur Analyse der inhalierten Wirkstoffe in der Lunge eingesetzt. Die Analyse der inhalierten Wirkstoffe bzw. der Nach- weis von Wirkstoffen und deren Deposition in der Lunge wird mittels Gamm- akamera durchgeführt. Dabei ist zwischen zwei-dimensionalen (planare Szinti- graphie) und drei-dimensionalen Aufnahmetechniken – Single Photon Emission 370 Mursina et al. Computed Tomography (SPECT) und Positron Emission Tomography (PET) – zu unterscheiden. SPECT und PET liefern detailliertere Informationen über die Verteilung der Pharmazeutika in intrathorakalen und extrathorakalen Bereichen des Kör- pers [1, 2]. Die dreidimensional aufgenommene Lunge wird dabei in 10 kon- zentrische Segmente aufgeteilt, die sich um den Hilus befinden. Somit kann die quantitative Analyse der inhalierten Wirkstoffe in jedem Segment der Lunge – angefangen vom Zentrum bis zur Peripherie – durchgeführt werden. Im Gegen- satz zu dreidimensionalen Methoden findet bei der planaren Szintigraphie eine Überlagerung von segmentierten Regionen statt. Die planare Methode hat sich trotzdem, durch deren Einsatz in vielen kommerziellen und wissenschaftlichen Studien, die zur Analyse der über Inhalation verabreichten Präparate durchge- führt wurden, als probat erwiesen. 2 Material und Methoden 2.1 Untersuchungsdesign Für Implementierungs- und Testzwecke zur quantitativen Auswertung wurden retrospektiv planare Gammakameraaufnahmen von 15 Patienten herangezogen, die im Rahmen der Routinediagnostik entstanden sind. Dabei wurden nur die Ventilationsuntersuchungen von Patienten mit Lungenfunktionsstörungen be- trachtet. Bei dieser Art der Untersuchung inhalierten die Patienten über ein geschlossenes System bis zu 5 min lang ein mit Technetium-99m markierten Albumin-Nanokolloid Aerosol. Unmittelbar nach der Inhalation des Aerosols wurden jeweils 8 Bilder aus 4 Kamerapositionen (anterior/posterior, RAO/LPO, RL/LL, RPO/LAO) vom Oberkörper des Patienten in liegender Position mittels einer Doppelkopfgammakamera aufgenommen. Die von der Doppelkopfgammakamera aufgenommenen Scans (planare Bil- der) sind in Form einer 128 × 128 Matrix dargestellt. Jedes Matrixelement (Pi- xel) repräsentiert einen Bereich im dreidimensionalen Objekt des Körpers. Jeder Pixel enthält Informationen über die Summe aller Signale (Impulse), die entlang des jeweils zugeordneten Messstrahls von der Gammakamera registriert werden. So ergibt sich ein Grauwert, der diese Informationen abbildet. Die Matrixpixel enthalten dabei keine Daten über die Tiefe des aufgenommenen Objekts. Damit die Verteilung des Präparats im gesamten System aufgezeigt und als prozentueller Anteil an der Gesamtmenge des inhalierten Aerosols ausge- drückt werden konnte, wurden bei zwei Patienten überplanmäßig während einer Routine-Untersuchung die Ganzkörperscans und die Bilder des Radioaerosol- Zufuhr-Systems aufgenommen. Desweiteren wurden die Referenzmessungen bei diesen Aufnahmen durchgeführt. 2.2 Korrekturvorgang Für die Auswertung der vorhandenen Gammakamerascans wurden die anterior und posterior Aufnahmen selektiert und ein geometrisches Mittel gebildet. Diese Auswertungssystem zur Evaluierung von Inhalationsmethoden 371 Datensätze stellen somit die primäre Datenmenge dar [3]. Es wurde als erstes die Hintergrundaktivität ermittelt, indem man zwei außerhalb der Lunge – links und rechts vom jeweiligen Lungenflügel – befindliche Segmente auswählt (Abb. 1a). Die Impulswerte aus diesen Segmenten wurden ausgelesen und der Mittelwert gebildet, der als Hintergrundradioaktivität dient. Von jedem Pixel im Bild wur- de dann die Hintergrundradioaktivität abgezogen. Nach diesem Vorgang entsteht die sekundäre Datenmenge. Als nächstes wurde der Absorptionskoeffizient nach Pitcairn und Newman [4] ermittelt und mit der sekundären Datenmenge multi- pliziert. Der Korrekturvorgang wird durch die Zerfallskorrektur vervollständigt. Die nach diesem Aufbereitungsvorgang vollständig korrigierte Datenmenge steht für die Segmentierung zur Verfügung. 2.3 Segmentierungsvorgang Aus der Datenmenge wurde ein Schwellenwert ermittelt, der 10 % von dem höchstgemessenen Wert im Bild beträgt. Die Lunge wurde mit Hilfe des Schwel- lenwertes segmentiert und konturiert. Die Lungensegmente wurden im nächsten Schritt in drei Bereiche (zentral, intermediär, peripher) aufgeteilt. Die Auftei- lung wurde mittels 5 × 8 Raster-Methode (Abb. 1b) vorgenommen. So wurden die einzelnen Lungenflügel von einem Raster umrandet, der in 40 Quadrate (5 × 8 Matrix) aufgegliedert wurde. Jeder der drei Bereiche (Interessensregionen) der jeweiligen Lungenflügel beinhaltet eine unterschiedliche Quadratanzahl. Der intermediäre Bereich impliziert eine 3x5 Matrix. Die zentrale Zone, die um den Hilus gezeichnet wurde, beinhaltet eine 2 × 3 Matrix. Dabei wurde der Hilus- punkt gemäß [5] berechnet. Alle somit ermittelten Interessensareale sind inein- ander verschachtelt. Die periphere Region ist dabei von besonderer Bedeutung bei der Auswertung. (a) Hintergrundaktivität (b) 5 × 8 Raster-Methode Abb. 1. Bilder von zwei Patienten mit vermindert ventilierten Arealen der Lunge. 372 Mursina et al. Der Magenbereich und die oberen Atemwege wurden nach dem gleichen Prin- zip segmentiert, wobei eine weitere, feinere Aufteilung entfällt. Hierbei wurden die Ganzkörperaufnahmen verwendet (Abb. 2a). Die innerhalb einer jeweiligen Interessensregion deponierte Wirkstoffmenge wurde im weiteren Verarbeitungsschritt quantitativ berechnet. Somit wurden In- formationen über die Regionalverteilung des angewendeten Präparats innerhalb der Lunge gewonnen. Damit diese Verteilung als prozentueller Anteil an der Gesamtmenge des in- halierten Präparats ausgedruckt werden konnten, wurden die Ganzkörperscans (Abb. 2a) und die Bilder des Radioaerosol-Zufuhr-Systems (Abb. 2b) herangezo- gen. Die Referenzdosis beider Bilder wurde nach der Segmentierung zur Quan- tifizierung eingesetzt. Somit lässt sich die Aktivität im gesamten System und in einzelnen Interessensbereichen nachweisen. 3 Ergebnisse Mittels der implementierten Algorithmen wurde automatisch das geometrische Mittel berechnet, alle Aufnahmekorrekturen durchgeführt und die Segmentie- rung aller Interessensregionen des gesamten Systems vorgenommen. Anschlie- ßend wurde die Aktivität jeder segmentierten Region mit der Referenzdosis ver- glichen. So konnte die Wirkstoffmenge in jedem Areal berechnet und als pro- zentualer Anteil an der Gesamtmenge des inhalierten Präparats ausgedrückt werden. Die Depositionsmengen im intrathorakalen und extrathorakalen Bereich konnten so automatisch ermittelt werden. Im Bild (Abb. 3) ist dabei die ermittelte Verteilung des inhalierten Aerosols im gesamten System schematisch dargestellt. Hierbei kann festgestellt werden, dass sich die meiste Aktivität im Radioaerosol-Zufuhr-System (bis zu 80–90 %) nachweisen lässt. (a) Thorakaler Bereich (b) Radioaerosol-Zufuhr-System Abb. 2. Verteilung des inhalierten Aerosols im intrathorakalen und extrathorakalen Bereich sowie im Radioaerosol-Zufuhr-System. Auswertungssystem zur Evaluierung von Inhalationsmethoden 373 Abb. 3. Aerosolverteilung. 4 Diskussion und Ausblick In dieser Arbeit wurde eine der Methoden vorgestellt, mit der die Analyse und Quantifizierung der inhalierten Wirkstoffe in der Lunge möglich ist. Die ange- wendete Methode – auf Basis von Szintigrammen – ist allerdings eingeschränkt, da die räumliche Verteilung eines Radionuklids im Körper zweidimensional dar- gestellt wird [1, 2]. Durch die Korrekturen von Scans, die in diesem Projekt eingesetzt wurden, lassen sich die bekannten Schwächen der zweidimensiona- len Aufnahmemethode nicht verbessern. Die implementierten Algorithmen zur Analyse und Quantifizierung dienen als Modell zur Automatisierung des quan- titativen Auswertungsprozesses zur Wirkstoffdeposition in der Lunge. Im nächsten Schritt ist die Modifizierung der zweidimensional aufgenomme- nen Atmungsorgane in dreidimensionale Objekte geplant. Hierzu werden statisti- sche Schätzmethoden wie z.B. das Maximum-Likelihood-Verfahren angewendet. Es wird erwartet, dass die Präzision der Berechnung der deponierten Medika- mentenpartikel in der Lunge durch die simulierte räumliche Darstellung erhöht wird. Literaturverzeichnis 1. Fleming JS, Conway JH. Three-dimensional imaging of aerosol deposition. J Aerosol Med. 2001;14(2):147–53. 2. Dolovich MB. Measuring total and regional lung deposition using inhaled radiotra- cers. J Aerosol Med. 2001;14(1):35–44. 3. Snell NJ, Ganderton D. Assessing lung deposition of inhaled medications. Consensus statement: British association for lung research. Respir Med. 1999;93:123–33. 4. Pitcairn GR, Newman SP. Tissue attenuation corrections in gamma scintigraphy. J Aerosol Med. 1997;10:187–98. 5. Tossici-Bolt L, Fleming JS, Conway JH, et al. Analytical technique to recover the third dimension in planar imaging of inhaled aerosols: (1) Impact on spatial quantification. J Aerosol Med. 2006;19(4):565–79.