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==Just-In-Time Teaching für Software-Engineering==
Just-in-Time Teaching für Software- Engineering Timo Kamph, Peter Salden, Sibylle Schupp und Christian Kautz Technische Universität Hamburg-Harburg {timo.kamph,peter.salden,schupp,kautz}@tuhh.de Zusammenfassung begleitendes Softwareprojekt zu ergänzen. Dies erfordert allerdings die Änderung des Curricu- Ein verbreitetes Problem beim Unterrichten von lums für die betroffenen Studiengänge und war Software-Engineering ist, dass den Studierenden studiengangstechnisch nicht möglich. Wir haben die Erfahrung mit großen, realen Softwaresyste- stattdessen versucht, die fehlende Erfahrung zu men fehlt. Dadurch wird die Sinnhaftigkeit der simulieren, indem wir den Studierenden vor jeder vorgestellten Methoden nicht ausreichend er- Vorlesung Aufgaben gestellt haben, die die Not- kannt. Wir versuchen, die fehlende Erfahrung zu wendigkeit des behandelten Themas verdeutli- simulieren und haben dazu die Methode des Just- chen und hierzu reale (Open-Source) Software- in-Time Teaching (JiTT), in Form von Quiz, einge- projekte verwenden. Die Methode, den Studie- führt. Die Studierenden, die an den Quiz teilge- renden bereits vor der Vorlesung den Einstieg in nommen haben, konnten die Methoden des Soft- das Thema im Selbststudium zu ermöglichen, ware-Engineerings am Ende des Semesters besser wird häufig als „Just-in-Time Teaching“ bezeich- einordnen. Die Einführung dieser JiTT-Variante net. ist mit einem nicht zu unterschätzenden Aufwand In diesem Artikel beschreiben wir unseren verbunden, der sich aus unserer und der Sicht der Einsatz von JiTT im Bereich der Veranstaltung Studierenden aber lohnt. Software-Engineering, ein Konzept, das in Zu- sammenarbeit des Instituts für Softwaresysteme Einleitung mit dem hochschul- und fachdidaktischen „Zent- An der Technischen Universität Hamburg- rum für Lehre und Lernen“ an der TUHH entwi- Harburg (TUHH) ist die Veranstaltung Software- ckelt wurde. Der Artikel ist wie folgt gegliedert: Engineering eine Pflichtvorlesung in zwei Bache- Abschnitt 2 führt JiTT allgemein ein und erläutert lorprogrammen und eine Wahlpflichtveranstal- den Hintergrund dieser Lehrmethode. Abschnitt 3 tung in vier weiteren Studienprogrammen. Die beschreibt unsere konkrete Umsetzung im Rah- Vorlesung wird von ca. 70 Studierenden im zwei- men der Software-Engineering Veranstaltung. Die ten oder vierten Semester besucht. Die Vorkennt- dabei gemachten Erfahrungen werden in Ab- nisse und Erfahrungen der meisten Studierenden schnitt 4 besprochen, bevor der Artikel mit unse- beschränken sich im Bereich Softwareentwicklung ren Schlussfolgerungen in Abschnitt 5 endet. auf das Bearbeiten kleiner Übungsaufgaben in zwei oder drei einführenden Programmierkursen „Just-in-Time Teaching“ (Prozedurale Programmierung, Funktionale Pro- Just-in-Time Teaching ist eine Lehr-Lern- grammierung, Objektorientierte Programmie- Strategie, deren Kern eine spezielle Kombination rung). Den Studierenden fehlt deshalb der Ein- von Präsenzlehre und online-gestütztem Selbst- blick in große Softwareprojekte und die damit studium ist (grundlegend zu JiTT: Novak u.a. einhergehenden Herausforderungen, z.B. dass 1999). viele Entwickler an einem Projekt beteiligt sind, Das besondere Merkmal von JiTT ist es, dass keine Person alle Einzelheiten des Gesamtsystems den Studierenden stets noch vor Beginn einer im Detail kennt und das System auch nach Jahren Lehrveranstaltung Studienmaterial online zur noch zu warten sein muss. Ohne diesen Einblick Verfügung gestellt wird. Dies können Einstiegs- fällt es vielen Studierenden schwer, den Sinn der fragen in ein neues Themengebiet sein, die bei der in der Vorlesung behandelten Konzepte und Me- Einschätzung helfen, welche Vorstellungen und thoden zu verstehen. welches Wissen die Studierenden in diesem Be- Ein Ansatz, den Studierenden die fehlende Er- reich bereits haben. Es können aber auch an- fahrung zu vermitteln, ist, die Vorlesung um ein spruchsvollere Aufgaben sein, die bereits ein kor- A. Spillner, H. Lichter (Hrsg.): SEUH 13 9 rektes Grundverständnis erfordern, aber weiter- ein Thema selbst vollziehen lässt, nimmt es dabei gehende Schwierigkeiten aufzeigen. Ergänzend auch die grundlegende Idee des didaktischen können für die Studierenden offene Fragen ange- Konstruktivismus auf, dass jedes Individuum sei- fügt werden, in denen sie Unklarheiten oder ne Wirklichkeit selbst erzeugt (Siebert 1997, 17). Probleme formulieren, die sich bei der Bearbei- Für das Lernen bedeutet dies: Ein bestimmtes tung ergeben haben. Verständnis lässt sich nicht standardisiert vermit- Die Aufgaben – deren Umfang gering gehal- teln, sondern Lernende müssen ihren eigenen Zu- ten wird – bearbeiten die Studierenden vor Be- gang zu einem Thema finden und zusätzliche In- ginn der zugehörigen Präsenzveranstaltung. Ihre formationen in ihr eigenes Wissenskonstrukt Antworten übermitteln sie elektronisch an die (wiederum individuell) integrieren. Lehrperson, idealerweise mittels einer Technik, An den Hochschulen hatte dieser Ansatz die die die studentischen Lösungen automatisch Proklamation eines „shift from teaching to lear- auswertet bzw. strukturiert. Lehrende haben ning“ zur Folge. Sein Ausdruck ist im Zuge des dann die Möglichkeit, genau rechtzeitig („just-in- Bologna-Prozesses u.a. die Berechnung des stu- time“) einen Überblick über den Wissensstand dentischen Arbeitsaufwands (workload), die für ihrer Studierenden zu gewinnen und z.B. miss- einzelne Veranstaltungen unabhängig von der verständliche intuitive Auffassungen eines Stoffs Präsenzzeit berechnet wird. Empirische Studien (Präkonzepte) zu erkennen. Sie können entspre- zu den neu konzipierten Studiengängen zeigen chend in ihrer Veranstaltung bereits verstandenen inzwischen, dass Selbststudium allerdings nur Stoff verkürzt behandeln, dafür aber gezielt auf dann funktioniert, wenn es in ein didaktisches vorliegende Verständnisschwierigkeiten einge- Gesamtkonzept eingebunden und in den Prä- hen. senzveranstaltungen wieder aufgenommen wird Wie genau dies geschieht, liegt frei in der (Metzger 2011, 271 f.). An dieser Stelle setzt JiTT Hand der Lehrenden. So können sie die aus den an, indem es die Ergebnisse des Selbststudiums Einstiegsaufgaben gewonnenen Informationen zum Ausgangspunkt der Präsenzlehre macht. lediglich zur Präzisierung ihrer eigenen Vortrags- Möglich ist es dabei auch, das Selbststudium teile nutzen und z.B. kurzfristig in ihre Präsenta- durch die Einbindung in das Prüfungskonzept tionen einzelne Folien einbauen, die typische oder einer Veranstaltung zusätzlich anzureizen. So besonders interessante studentische Lösungen kann durch JiTT der Forderung nach „formati- oder Probleme zeigen. Alternativ können die In- vem“, d.h. das Lernen begleitendem Prüfen nach- formationen aus den Einstiegsaufgaben aber auch gekommen werden (Dubs 2006, 2 f.). Die Bearbei- zum „roten Faden“ der zugehörigen Veranstal- tung der Aufgaben kann anteilig auf die Note an- tung gemacht werden, indem beispielsweise ge- gerechnet werden, oder bei Bestehen der Ab- zielt an auffälligen Präkonzepten gearbeitet wird, schlussprüfung wird ein Bonus für die Aufgaben- strittige Fragen per Partnerdiskussion o.ä. in der bearbeitung gewährt, der die Abschlussnote ver- Vorlesung weiter vertieft oder über Classroom- bessert. Häufig wird es in diesem Fall von den response-Systeme („Clicker“) nochmals für alle Lehrenden als ausreichend betrachtet, wenn die Studierenden zur Disposition gestellt werden Aufgaben überhaupt bearbeitet werden, unab- (Luo 2008, 166). hängig davon, ob die Lösungen richtig sind (Luo Entscheidend ist in jedem Fall, dass die Leh- 2008, 167; Slunt/Giancarlo 2004, 986). renden frühzeitig eine Rückmeldung zu den Lernbedürfnissen ihrer Studierenden erhalten Verbreitung und Wirksamkeit von JiTT bzw. die Studierenden eine Rückmeldung zu ih- „Just-in-Time Teaching“ wurde von Physik- rem Lernstand. Auf diesem Weg soll die Stoff- Lehrenden der Indiana University-Purdue Uni- vermittlung effizienter werden, Interesse und Ak- versity at Indianapolis (IUPUI), der United States tivität der Studierenden sollen steigen. Air Force Academy (USAFA) und des Davidson College entwickelt (Novak u.a. 1999, 7). Inzwi- Didaktischer Hintergrund schen hat es sich sowohl über fachliche als auch Betrachtet man JiTT in einem allgemeindidakti- über geographische Grenzen hinweg weit verbrei- schen Kontext, so liegt sein Charme jenseits des tet (Poth 2009, 7). Auch in Deutschland ist Just-in- Beitrags zu einer effizienten Lehrgestaltung zu- Time Teaching angekommen, allerdings mit noch nächst in der Aktivierung der Studierenden zum recht geringer Verbreitung (zu nennen sind insbe- selbstständigen Lernen – denn dass die studenti- sondere die TU Hamburg-Harburg und die nie- sche Eigenaktivität möglichst früh im Lehr- dersächsische Ostfalia-Hochschule, siehe aber Lernprozess geweckt werden sollte, wird inzwi- auch Hagel et al. in diesem Tagungsband). Einge- schen gemeinhin als Voraussetzung für erfolgrei- setzt wird es in mittleren und auch großen Veran- ches Lernen aufgefasst (Novak u.a. 1999, 9). staltungen, so z.B. an der TU Hamburg-Harburg Indem JiTT die Studierenden den Einstieg in in Vorlesungen mit über 600 Studierenden. 10 A. Spillner, H. Lichter (Hrsg.): SEUH 13 Der vielversprechende Ansatz von JiTT hat Umfang des betrachteten Systems aufzeigt. Der auch das Interesse an der Frage geweckt, inwie- Einsatz von JiTT besteht aus den folgenden Kom- weit sich ein Erfolg der Methode wissenschaftlich ponenten: einem wöchentlich wechselnden Soft- belegen lässt. Hierzu liegt inzwischen eine ganze waresystem, einem zweiteiligen Quiz und einer Reihe kürzerer Studien vor, die überwiegend von kurzen Einheit in der folgenden Vorlesung. Die in Lehrenden mit Datenmaterial aus ihrem eigenen den jeweiligen Vorlesungen behandelten Themen Unterricht durchgeführt worden sind (das in und die dafür verwendeten Softwaresysteme sind Amerika verbreitete „scholarship of teaching and in Tabelle 1 angegeben. Im Folgenden soll nun auf learning“, vgl. Huber 2011, 118). die Quiz im Detail eingegangen werden. Luo (2008) beispielsweise weist nach, dass die regelmäßige Bearbeitung von JiTT-Aufgaben ei- nen deutlich positiven Einfluss auf die Ab- Vorlesungsthema Softwaresystem schlussnoten seiner Studierenden hatte. Slunt und Giancarlo (2004) wiederum vergleichen JiTT mit Software Prozesse Firefox (Bugtracker) dem Erfolg sog. „Concept Checks“, d.h. struktu- Nichtfunktionale An- LibreOffice (Release No- rierter Feedbackfragen im laufenden Unterricht, forderungen tes) die Vorwissen oder Verständnis von Studieren- den prüfen. Gemessen anhand von durchschnitt- Spezifikation Aristotle Analysis Sys- lichen Endnoten fällt das Ergebnis deutlich zu- tem gunsten von JiTT aus (Slunt/Giancarlo 2004, 986 f.). Spezifikation nebenläu- Eclipse (Deadlock) Diese Nachweise der Effektivität von JiTT figer Systeme sind nicht durchgängig auf Zustimmung getrof- fen. So zweifelt etwa Poth (2009, 2) an der statisti- Design STL Iteratoren schen Belastbarkeit vieler der vorliegenden Studi- en und kommt in seiner eigenen Analyse von JiTT Architekturen Diverse Systeme zu durchaus skeptischen Einschätzungen. Auch Objektorientiertes De- ADT Queue er verwirft die Methode aber nicht, sondern for- sign dert genauere Studien, unter welchen Bedingun- gen sie funktionieren kann (Poth 2009, 230 f.; vgl. Testen Mozilla Test Case Writ- Kautz 2006). Dies scheint auch insofern wün- ing Primer schenswert, als dass JiTT bei Evaluationen von den Studierenden regelmäßig als sehr gut und Testüberdeckung GCC libstdc++ Test Suite hilfreich bewertet wird. Im Folgenden soll nun erläutert werden, wel- Wartung Diverse Programme che Erfahrungen bei der Anwendung von JiTT im Tabelle 1: Vorlesungsthemen und verwendete Soft- Rahmen der Veranstaltung „Software- waresysteme Engineering“ an der Technischen Universität Hamburg-Harburg gemacht worden sind. Quiz Jedes Quiz besteht aus zwei Teilen: der Einlei- JiTT für Software-Engineering tung, die die ganze Zeit verfügbar ist, und dem Bei den bisherigen Umsetzungen von JiTT in un- Fragenteil, für den es eine begrenze Bearbeitungs- terschiedlichen Fächern ging es vorrangig darum, zeit gibt. In der Einleitung wird das betrachtete den Studierenden Grundwissen vor Beginn der System kurz vorgestellt und es wird beschrieben, Lehrveranstaltung zu vermitteln und den Leh- wo man das benötigte Material findet. Dabei kann renden einen Überblick über den Wissenstand der es sich um einen bestimmten Eintrag im Studierenden zu verschaffen. Bei unserem Einsatz Bugtracker des Projekts handeln oder um ein Ar- von JiTT geht es hingegen in erster Linie darum, chiv mit dem Quelltext der Software. Darüber die Studierenden Erfahrungen mit der Komplexi- hinaus erhalten die Studierenden Hinweise, wel- tät von realen Softwareprojekten machen zu las- che Stelle des Systems relevant ist. So ist sicherge- sen. Diese Erfahrungen können nur gemacht stellt, dass den Teilnehmenden beim Fragenteil, werden, wenn die Studierenden auch an realen der in begrenzter Zeit zu bearbeiten ist, das benö- Softwaresystemen arbeiten. Wir haben uns daher tigte Material zur Verfügung steht und sie sich entschieden, den Studierenden, im Rahmen eines schon etwas mit dem System vertraut machen Online-Quiz, Fragen zu Open-Source-Software zu können. Darüber hinaus werden die Studierenden stellen, deren Beantwortung sie an das Thema der motiviert, sich Gedanken zu den möglicherweise nächsten Vorlesung heranführt und nebenbei den im Fragenteil gestellten Fragen zu machen und A. Spillner, H. Lichter (Hrsg.): SEUH 13 11 sich ein wenig im System „umzusehen“. scher Natur, hat aber trotzdem im Durchschnitt Das Ziel ist, den Studierenden die Komplexi- mehr als 70% der Vorlesungsteilnehmerinnen und tät der Entwicklung realer Softwaresysteme zu Vorlesungsteilnehmer zum Mitmachen motiviert. verdeutlichen und sie anzuregen, sich eigene Ge- Wir halten die Bewertung einfach: Entweder danken zum Thema der nächsten Vorlesung zu die Antwort ist ausreichend für einen Teilnahme- machen. Dabei kommt es nicht darauf an, die ge- punkt oder nicht. Entscheidend für die Bewertung stellte Frage exakt zu beantworten. Oftmals ist ist hauptsächlich, ob die Antwort den Schluss zu- das auch gar nicht möglich, da die Fragen be- lässt, dass die Teilnehmerin oder der Teilnehmer wusst so gestellt werden, dass es mehrere rationa- sich mit der Fragestellung beschäftigt hat. le Antworten gibt, die nur entsprechend begrün- Nachdem die Studierenden die Fragen be- det werden müssen. Eine solche Frage ist, zum antwortet haben, ist der letzte Schritt, dass die Beispiel, ob bei Kenntnis eines bestimmten Fragen und insbesondere die Antworten in der Fehlers im Softwaresystem die Veröffentlichung nächsten Vorlesung aufgegriffen werden. Hierfür verschoben werden soll. Das Lernziel wird also hat es sich als sinnvoll erwiesen, bei der internen schon durch das Bearbeiten der Aufgabe erreicht. Auswertung die Antworten in verschiedene Ka- Die Aufgaben sind so gestellt, dass das Bear- tegorien einzuteilen, z.B. „dafür“ und „dagegen“ beiten etwa 30 Minuten dauern sollte. Durch die oder „das ist immer ein Problem“, „das ist nur zeitlich begrenzte Freischaltung der Bearbeitung unter Voraussetzung A ein Problem“, „das ist nur wird verhindert, dass die Studierenden einen we- unter Voraussetzung B ein Problem“ und „das ist sentlich höheren Aufwand betreiben. nie ein Problem“. Für viele Studierende ist es inte- ressant zu erfahren, wie viele ihrer Kommilito- Durchführung ninnen und Kommilitonen ihre Überlegungen Es ist wichtig, dass die Studierenden den Zeit- teilen. Aber auch die Lehrenden können daraus punkt der Bearbeitung flexibel wählen können, ablesen, ob ein bestimmter Aspekt häufig genannt um Konflikte mit anderen Veranstaltungen zu wird und ein anderer selten. Dann kann der selten vermeiden. Da die Aufgaben von jedem Studie- genannte Aspekt in der Vorlesung nochmals be- renden individuell zu bearbeiten sind, haben wir sonders betont werden, falls er wichtig ist. Darü- als Rahmen nur vorgegeben, dass das Quiz nach ber hinaus werden aus jeder Kategorie besonders dem Ende der vorherigen Vorlesung veröffent- gute oder interessante, repräsentative Antworten licht wird und bis zum Tag vor der nächsten Vor- gezeigt. Die Veröffentlichung erfolgt anonym, da lesung bearbeitet sein muss. Das lässt dem Dozen- das öffentliche Nennen des Namens von den be- ten bzw. der Dozentin dann noch Zeit, die Ant- troffenen Studierenden oftmals als peinlich emp- worten auszuwerten und in der Vorlesung ent- funden wird. Die Studierenden erkennen aller- sprechend darauf zu reagieren. dings ihre eigene Antwort und erhalten dadurch Im Einzelnen sehen die Schritte wie folgt aus: eine extra Motivation. Am Nachmittag nach der Vorlesung wird der ers- te Teil, die Einleitung, ins Netz gestellt. Sobald die Online-Plattform Teilnehmenden ihre Vorbereitungen abgeschlos- Zur Durchführung der Quiz verwenden wir die sen haben und denken, dass sie sich im betroffe- E-Learning Plattform ILIAS nen Teilsystem ausreichend gut auskennen, star- (https://www.ilias.de). Die Quiz werden dort als ten sie mit dem zweiten, dem Fragenteil. In dem „Test“ eingestellt. Mit ILIAS ist es möglich, die Moment, in dem sie auf den Start-Knopf klicken, maximale Bearbeitungszeit und den spätesten werden ihnen die Fragen gezeigt und die Bearbei- Abgabetermin automatisch zu setzen. Insbeson- tungszeit beginnt zu laufen. Wir haben uns ent- dere die Bearbeitungszeit lässt sich nur mit einem schlossen, die Bearbeitungszeit auf 60 Minuten zu Online-System genau ermitteln. Die Fragen in den begrenzen, um zu verhindern, dass zu viel Zeit in Quiz sind überwiegend Freitextfragen, manchmal die Beantwortung investiert wird. Die Fragen kombiniert mit einer Auswahlfrage, die das grobe selbst sollten allerdings in unter 30 Minuten zu Einteilen der Antworten in Kategorien automati- beantworten sein und wurden von den Studie- siert hat. Bei der oben schon erwähnten Frage renden in der Regel auch in dieser Zeit beantwor- nach einem Bug im Firefox-Webbrowser muss tet. man sich beispielsweise zunächst in einer Aus- Um die Studierenden zur Teilnahme anzure- wahlfrage für oder gegen das Verschieben des gen, haben wir die Quiz in ein Bonussystem inte- Veröffentlichungstermins entscheiden, bevor man griert, das auch die (erfolgreiche) Teilnahme an seine Wahl in einer Freitextfrage begründet. Da es den Übungen belohnt. Die durch alle Quiz insge- bei Freitextfragen nicht möglich ist, die Antwor- samt zu erreichenden Bonuspunkte entsprechen ten vom System automatisch bewerten zu lassen, allerdings nur 2% der in der Klausur zu errei- muss die Bewertung vom Lehrenden beim chenden Punkte. Der Anreiz ist also eher symboli- Durchsehen der Antworten erfolgen. Das gleiche 12 A. Spillner, H. Lichter (Hrsg.): SEUH 13 Muster findet sich bei einer Frage zur Aufnahme neue Testfall ist gut“ und „der Test wird immer eines neuen Testfalls in eine Testsuite (siehe Bei- fehlschlagen“. Bei der Kategorisierung der Ant- spiel). In einem anderen Quiz soll ein Vorschlag worten werden auch drei besonders gute oder für eine neue STL Iterator-Hierarchie begründet interessante Antworten ausgewählt und zusam- werden. Dieses Quiz besteht nur aus einer Frei- men mit dem Ergebnis der Auswertung in der textfrage zur möglichen Begründung. Vorlesung präsentiert. Beispiel Evaluation Nachdem wir nun den allgemeinen Aufbau der Die Bewertung des Einsatzes von JiTT in der Ver- Quiz beschrieben haben, wollen wir ein Quiz ge- anstaltung Software-Engineering erfolgt aus zwei nauer vorstellen. Das Quiz bereitet die Vorlesung Perspektiven: zuerst aus Sicht der Studierenden zum Thema Testüberdeckung vor und als Soft- und dann aus Sicht der Lehrenden. Grundlage waresystem kommt die C++-Standardbibliothek sind die Daten aus dem Sommersemester 2012. (libstdc++) der Gnu Compiler Collection (GCC) zum Einsatz. Studentische Evaluation Die Einleitung zum Quiz stellt GCC und Die Quiz wurden von den Studierenden gut an- libstdc++ kurz vor und leitet die Studierenden genommen. Von insgesamt 70 Teilnehmenden an dann zur Testsuite des „find“-Algorithmus der der Veranstaltung haben durchschnittlich 51 an libstdc++. Die dazugehörige Frage stellt dann ei- den Quiz teilgenommen. Das entspricht einer nen neuen Testfall vor und die Studierenden Quote von 72%. Allerdings hat die Beteiligung müssen sich in einer Auswahlfrage entscheiden, zum Ende des Vorlesungszeitraums abgenom- ob der neue Testfall in die Testsuite aufgenom- men, nachdem die Studierenden die maximal er- men werden soll oder nicht. In einer zweiten Fra- zielbaren Bonuspunkte erreicht hatten. Die durch- ge muss diese Entscheidung dann begründet schnittliche Bearbeitungszeit des Fragenteils lag werden. Um die Entscheidung zu treffen und zu bei 17:25 Minuten. Dazu kam noch die Zeit für die begründen, ist es notwendig, sich zu überlegen, Vorbereitung, also das Lesen der Einleitung, das was die Kriterien für die Aufnahme eines neuen Herunterladen des Quelltextes und das erste Um- Testfalls sind, was von den vorhandenen Testfäl- sehen im behandelten System, die nicht vom On- len abgedeckt wird und was der neue Testfall tes- linesystem erfasst werden kann. Insgesamt er- tet. Somit machen sich die Studierenden zum ei- scheint der zusätzliche Zeitaufwand für die Quiz nen Gedanken über die Kriterien für eine gute aber vertretbar. Erfreulich ist weiterhin, dass im Testsuite und zum anderen erleben sie durch das Schnitt 90% der Teilnehmenden eine Antwort ge- Navigieren zur Testsuite und das Herausfinden, geben haben, die zeigt, dass sie sich ernsthaft mit was genau getestet wird, wie groß und komplex dem Thema auseinandergesetzt haben. die C++-Standardbibliothek ist. Vom Zentrum für Lehre und Lernen der Die im Durchschnitt zur Beantwortung der TUHH (ZLL) wurde am Ende des Semesters ein Fragen benötigte Zeit betrug bei diesem Quiz 16 Bewertungsbogen an die Studierenden verteilt, Minuten und 20 Sekunden. Der Aufwand zur um ihre Einschätzung des JiTT-Ansatzes zu erfra- Vorbereitung kann vom System nicht erfasst wer- gen. Dabei sollten bestimmte Aspekte mit einer den, wir schätzen jedoch, dass er unter 30 Minu- Note zwischen 1 (voll zutreffend) und 5 (nicht ten lag. zutreffend) bewertet werden. Alle vorgegebenen Am Tag vor der Vorlesung ist das Quiz been- positiven Äußerungen zu den Quiz wurden im det und die Antworten müssen ausgewertet wer- Mittel als „weitgehend zutreffend“ bewertet. Er- den. Durch die Auswahlfrage erhält man schnell freulich ist insbesondere die gute Bewertung der einen Überblick, wie viele Studierende den neuen Aussagen, dass die Quiz die in der Vorlesung be- Testfall aufnehmen wollen und wie viele nicht. In handelten Konzepte mit realen Systemen verbin- diesem Fall war das Ergebnis unentschieden. Zur den und dass die Quiz geholfen haben, die Wich- Auswertung der Begründung in der Freitextfrage tigkeit des Vorlesungsinhalts zu verdeutlichen. muss jede Antwort einzeln betrachtet werden. Da Dies zeigt, dass das Ziel der Lehrinnovation weit- die Antworten in der Regel recht kurz ausfallen, gehend erreicht wurde. Das Ergebnis der studen- werden hierfür circa ein bis zwei Minuten pro tischen Bewertung ist in Tabelle 2 dargestellt. Die Antwort benötigt. Die meisten Begründungen, Zeile unter der zu bewertenden Aussage gibt pro- den Testfall aufzunehmen, lassen sich in eine Ka- zentual an wie oft die entsprechende Note von tegorie „der Testfall testet etwas, das bisher noch den Studierenden vergeben wurde. nicht getestet wurde“ einteilen und die meisten Begründungen ihn abzulehnen in eine Kategorie Interne Evaluation „der Testfall erhöht die Testabdeckung nicht“. Betrachtet man die Einführung der Quiz aus Sicht Einige Antworten fallen in die Kategorien „jeder A. Spillner, H. Lichter (Hrsg.): SEUH 13 13 der Lehrenden, so fällt zunächst der große Auf- eines Online-Systems sollten der Aufwand und wand zur Vorzubereitung der Quiz auf. Der größ- eventuelle technische Probleme nicht unterschätzt te Aufwand besteht darin, ein zum Inhalt der Vor- werden. Vor jeder Vorlesung müssen die Antwor- lesung passendes Softwaresystem zu finden. Hat ten der Studierenden ausgewertet werden. Durch man das System gefunden, so ist noch eine Anlei- das Verwenden von Freitextfragen kann die tung für die Studierenden zu schreiben, die sie Auswertung nicht automatisiert werden. Bei un- zum betrachteten Teil des Systems führt. Zum serer Veranstaltung (mit durchschnittlich 51 Teil- Abschluss der Vorbereitung müssen noch Fragen nehmern) hat die Auswertung etwa zwei Stunden zum System gestellt werden, die die Studierenden in Anspruch genommen. Das Einbinden der an das in der entsprechenden Vorlesung behan- Antworten in die Vorlesung ist hingegen kein delte Thema heranführen. Dieser Aufwand fällt großer Mehraufwand. aber nur bei der Einführung an, da die gefunde- Die Schwierigkeiten liegen hauptsächlich bei nen Systeme und Fragen in den folgenden Semes- der Auswahl der Softwaresysteme und Fragen. Es tern wiederverwendet werden können. ist nicht leicht, zu einem bestimmten Thema oder Problem ein Softwaresystem zu finden, das das Problem veranschaulicht und gleichzeitig nicht zu Aussage komplex ist, um die Studierenden nicht zu über- 1 2 3 4 5 k.A. fordern. Das spiegelt sich auch in der unterschied- lichen Qualität unserer Quiz wieder. Der Aufwand für die Lehrinnovation lohnt sich. Positiv für die Lehrperson in der Vorlesung ist, dass die Studierenden ein reges Interesse an 14% 38% 24% 14% 7% 3% den Antworten zum Quiz haben. Gerade bei län- geren Vorlesungen, wenn die Konzentration der Die Innovation wurde erfolgreich umgesetzt. Studierenden nachlässt, hat das Besprechen der Fragen und Antworten einen positiven Effekt auf 31% 34% 21% 7% 7% 0% die Aufmerksamkeit. Des Weiteren war es Insgesamt würde ich diesen Kurs weiterempfeh- manchmal möglich, verbreitete, aber falsche Vor- len. stellungen der Studierenden zu erkennen und entsprechend darauf einzugehen. 28% 45% 21% 3% 3% 0% Schlussfolgerungen Die Quiz haben die in der Vorlesung präsentierten Konzepte mit realen Softwaresystemen in Verbin- Es war unser Ziel, die Studierenden Erfahrungen dung gebracht. mit realen Softwareprojekten machen zu lassen, damit sie die Sinnhaftigkeit der in der Vorlesung 38% 48% 7% 7% 0% 0% vorgestellten Methoden besser verstehen. Dazu haben wir die Methode des JiTT, in Form von Die Quiz haben mir geholfen, die Bedeutung der Quiz, eingesetzt. Die größte Herausforderung, bei Vorlesungsinhalte für reale Software-Engineering- unserem Einsatz von JiTT, ist das Finden von Aufgaben zu verstehen. Softwaresystemen, an denen man die in der Vor- lesung vorgestellten Konzepte verdeutlichen 21% 45% 24% 3% 7% 0% kann. Eine systematische empirische Überprüfung, Die Auswahl der Softwaresysteme war angemes- dass die Studierenden mit Hilfe der Methode ge- sen. genüber einer rein klassischen Vorlesung bessere 24% 55% 10% 7% 0% 0% Lernergebnisse erzielt haben, steht für den gege- benen Fall aus. Die Aussagen der Studierenden Die Aufgaben waren interessant und haben mich am Ende des Semesters, unsere eigenen Beobach- angeregt, mir das verfügbare Hintergrundmaterial tungen und der Leistungsvergleich mit früheren anzusehen. Jahrgängen legen für uns jedoch nahe, dass wir unser Ziel erreicht haben. Wir sind überzeugt, 21% 31% 31% 7% 10% 0% dass die Quiz das Verständnis nachhaltig verbes- sert haben und werden JiTT weiterhin in der be- Tabelle 2: Bewertung der Quiz durch die Studierenden schriebenen Weise einsetzen. Nachdem die Quiz einmal vorbereitet wur- den, müssen sie in die Online-Plattform Literatur eingepflegt werden. Gerade beim ersten Einsatz Dubs, R. (2006): Besser schriftlich prüfen. Prüfun- 14 A. Spillner, H. Lichter (Hrsg.): SEUH 13 gen valide und zuverlässig durchführen. In: Neues Handbuch Hochschullehre, Einzelbei- trag H 5.1. Huber, L. (2011): Forschen über (eigenes) Lehren und studentisches Lernen – Scholarship of Teaching and Learning (SoTL). In: Das Hoch- schulwesen, vol. 59, Heft 4, S. 118-124. Kautz, C. (2006): Aktives Lernen in Großen Vorle- sungen: Einsatz von internet-gestützten Vortests und interaktiven Vorlesungsfragen. In: Schlattmann, J. (Hrsg.): Die Bedeutung der Ingenieurpädagogik. Hamburg, S. 1-8. Luo, W. (2008): Just-in-Time-Teaching (JiTT) im- proves student’s performance in classes – ad- aptation of JiTT in four geography courses. Journal of Geoscience Education, v. 56, n.2, p. 166-171. Metzger, C. (2011): Studentisches Selbststudium. 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